Diabetes: Mein Feind, der Zucker
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Besonders für Familien kann es den Alltag erschweren, wenn ein Kind unter Diabetes leidet.
© Quelle: dpa
Die Diagnose war ein Schock: Gerade einmal zweieinhalb Jahre war der kleine Damian alt, als er plötzlich an Gewicht verlor. Der Kinderarzt schickte ihn sofort ins Krankenhaus: Damians Blutzuckerspiegel lag bei fast 800 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) und war damit achtmal höher als normal. Dadurch hatte sich eine hochgefährliche Ketoazidose entwickelt, eine Übersäuerung des Organismus. Damian litt an Diabetes Typ 1.
Sein eigenes Immunsystem hatte seine Bauchspeicheldrüse angegriffen und diese hatte aufgehört, das Hormon Insulin zu produzieren. Ohne das Insulin können Körperzellen keinen Zucker mehr aus dem Blut aufnehmen. Er reichert sich darin an, was tödlich enden kann. Für Damian, das erklärten die Ärzte seinen Eltern, würde es von nun an lebensnotwendig sein, mehrmals täglich Insulin zu spritzen.
Die Therapie ist vor allem am Anfang nicht einfach: Denn zu wenig, aber auch zu viel Insulin kann schaden. Also lernten seine Eltern zu berechnen, wie viel Insulin Damians Körper wann benötigt und worauf bei den Mahlzeiten und bei der Blutzuckermessung geachtet werden muss.
Das eigene Kind zu spritzen kann für Eltern belastend sein
“Es ist ein riesiger Berg, der da auf einen zukommt”, sagt Damians Mutter Sabrina Blut. Wie ihre Familie die ersten Jahre nach der Diagnose erlebt hat, hat sie später in einem Buch mit dem Titel “Süß, süßer, die Süßesten” beschrieben. Darin schildert sie, wie sie und ihren Mann zunächst große Ängste plagen, sie Damian nachts mehrfach wecken, um Zucker zu messen. Wie Reisen, auswärts zu essen und jedes Abweichen vom gewohnten Alltag sie vor neue Herausforderungen stellen, es aber letztendlich gelingt, das alles auch mit der Krankheit zu meistern.
Damian selbst war noch viel zu klein, um schon alles zu verstehen – das Piksen, um einen Bluttropfen zum Zuckermessen zu bekommen, die Spritzen. Manchmal weinte er, das war auch für die Mutter schwer: “Wir müssen das machen, weil wir dich so lieb haben, habe ich ihm dann gesagt. Aber das eigene Kind zu spritzen war die Hölle. Man versucht schließlich ständig, es vor Leid und Schmerzen zu bewahren. Und nun musste ich ihm sogar wehtun.”
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Mit einem Messgerät wird der Blutzuckerwert aus einem Tropfen Blut aus der Fingerkuppe bestimmt.
© Quelle: Jens Kalaene/zb/dpa
Blutzuckermessen spielerisch beibringen
Bei den meisten Kindern bricht ein Diabetes Typ 1 erst zwischen dem zehnten und 15. Lebensjahr aus. Damian hatte es früher getroffen. Die Verantwortung lag daher zunächst ganz bei Vater und Mutter: “Das Schwierigste dabei war, nicht zu Helikoptereltern zu werden, die nur um das Kind kreisen. Man muss immer abwägen, bis zu welchem Level Kontrolle noch gut ist”, sagt Sabrina Blut. Sie brachte Damian von Anfang an alles spielerisch bei. Mit drei konnte er selbst seinen Blutzucker messen und erkennen, ob das Ergebnis zwei- oder dreistellig war.
Wer ein Kind mit Diabetes hat, hat mit Reaktionen des Umfelds zu kämpfen. Sie sei doch selbst schuld, weil sie Damian zu viele Süßigkeiten gegeben habe, musste Sabrina Blut sich anhören. Das ist Unsinn, denn Diabetes Typ 1 wird anders als Diabetes Typ 2 nicht durch eine ungesunde Ernährung begünstigt. Und viele gingen einfach auf Abstand: “Den lad mal lieber nicht ein, der ist doch krank”, sagte eine andere Mutter zu ihrem Kind, als mal wieder eine Geburtstagsfeier anstand, bei der Damian sicher gerne dabei gewesen wäre.
Bei den Behandlungsmöglichkeiten hat sich viel getan
Kinder mit Diabetes Typ 1 sind keine Pflegefälle, die unablässig medizinisch versorgt werden müssen. Erzieher oder Lehrer sollten lediglich Bescheid wissen, bei kleinen Kindern mit auf die Insulingaben achten und wissen, was bei einer Unter- oder Überzuckerung zu tun ist. Doch manche Betreuer lehnen das ab, sodass es schwierig sein kann, für Kinder mit Diabetes einen Kindergarten oder die richtige Schule zu finden.
Bernadette Bartusch ist als Ärztin in einer diabetologischen Praxis mit Zweigstellen in Bad Nauheim, Bad Homburg und Usingen tätig. In den vergangenen Jahren habe sich bei den Behandlungsmöglichkeiten von Diabetes sehr viel getan, sagt sie. “Man kann heute trotz vieler Belastungen besser mit der Krankheit leben und an allem teilhaben.”
Präzise Insulindosierung mit spezieller Pumpe
Behandelt wird heute meistens mit einer Insulinpumpe – auch Damian hat inzwischen so ein Gerät. Mit der Pumpe lässt sich das Insulin präzise dosieren, sie ist mit einer feinen Kanüle verbunden, die fest im Unterhautfettgewebe sitzt. “Die Kinder müssen sich so nicht ständig neu spritzen. Und es können kleinere Dosen über einen längeren Zeitraum abgegeben werden, dadurch lässt sich der Blutzuckerspiegel besser regulieren”, sagt Bartusch.
Außerdem können die Diabetiker Messsensoren tragen, die permanent den Zucker messen, sodass das ständige Piksen in den Finger entfällt. Trotzdem bleibe die Krankheit von morgens bis abends präsent. Typ-1-Diabetiker müssen ständig darauf achten, wie viele Kohlenhydrate sie zu sich genommen haben – denn danach richtet sich die Insulindosierung. Süßigkeiten und zuckrige Getränke lassen den Blutzucker besonders stark in die Höhe schnellen. Verbote seien aber schwierig. Bartusch rät dazu, Kompromisse zu machen: “Sonst besteht nur die Gefahr, dass heimlich genascht wird.” Vor zwei Jahrzehnten galt aus medizinischer Sicht noch ein radikales Süßigkeitenverbot. Heute weiß man, dass Schokolade nicht schädlicher ist als Kohlenhydrate in anderen Lebensmitteln.
Die meisten Kinder mit Diabetes Typ 1 seien erstaunlich vernünftig, sagt Bartusch. “Das ist bewundernswert, denn ihnen wird schon früh im Leben sehr viel abverlangt.”
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Das Spritzen von Insulin ist vor allem für Kinder zu Beginn oft gewöhnungsbedürftig, wird aber schnell zur Routine. Mit einer Insulinpumpe lässt sich das Insulin präziser ins Unterhautfettgewebe spritzen.
© Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Auch Sport ist möglich – und gut
Damian ist heute 13 Jahre alt. Er hat in der Schule die Klasse gewechselt, weil er wegen seiner Krankheit gemobbt worden war. “Es gibt immer welche, die einen deswegen ärgern”, sagt er. “Aber ich habe Freunde, die zu mir stehen.” Seit einigen Jahren spielt er Handball. “Manche haben Angst davor, mit Diabetes Sport zu machen, aber man sollte sich ruhig trauen”, sagt Damian. Tatsächlich ist das sogar gut, aktive Kinder brauchen meist weniger Insulin. Wenn Damian auf dem Spielfeld ist, gibt er dem Trainer sein Handy. Sollte er unterzuckert sein, gibt das Smartphone ein Signal.
Diabetes gehört zu Damians Welt dazu, er kennt es nicht anders. Trotzdem versucht er, so normal zu leben wie möglich. Und beschweren will er sich nicht: “Es gibt schließlich viel schlimmere Krankheiten”, sagt er.
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Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2
Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2 sind zwei unterschiedliche Krankheitsbilder, die eng mit dem körpereigenen Hormon Insulin zusammenhängen. Insulin wird in der Bauchspeicheldrüse produziert. Es sorgt dafür, dass Zucker, der nach der Nahrungsaufnahme im Blut zirkuliert, von den Körperzellen aufgenommen und verstoffwechselt wird.
Diabetes Typ 1 bricht schon im Kindesalter oder bei jungen Erwachsenen aus und ist eine unheilbare Autoimmunerkrankung, momentan sind etwa 350.000 Menschen in Deutschland davon betroffen.
Das Abwehrsystem des Körpers greift hierbei aus ungeklärter Ursache die Zellen der Bauchspeicheldrüse an, die das Insulin produzieren: Es kommt zum Insulinmangel. Typ-1-Diabetiker müssen sich mehrmals täglich Insulin spritzen, sonst droht eine lebensgefährliche Überzuckerung des Bluts. Aber auch eine Unterzuckerung nach höheren Insulingaben und bei längeren Essenspausen kann gefährlich sein.
Typ-2-Diabetes tritt vor allem im höheren Lebensalter auf, laut Deutscher Diabetes-Hilfe leben fast sieben Millionen Menschen mit der Krankheit. Kinder sind nur äußerst selten betroffen.
Bei Typ-2-Diabetikern produziert die Bauchspeicheldrüse Insulin, aber die Körperzellen reagieren nicht mehr richtig auf das Hormon, man spricht daher von einer Insulinresistenz. Auch hierbei droht eine Überzuckerung, diese ist aber in der Regel weniger ausgeprägt als bei Diabetes Typ 1.
Ein Typ-2-Diabetes ist zum Teil genetisch bedingt, anders als bei Typ-1-Diabetes wird er aber auch stark durch die Lebensweise beeinflusst. So steigern Übergewicht, Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung erheblich das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Außerdem lässt sich die Krankheit durch eine Lebensstilumstellung oft wirksam bekämpfen, zusätzlich helfen Medikamente. Insulin benötigen Typ-2-Diabetiker nur dann, wenn die Krankheit ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat und andere Maßnahmen wirkungslos bleiben.
RND