Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen: Was hat sie bislang gebracht?
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Eine Mitarbeiterin befüllt eine Spritze mit einer Corona-Impfdosis.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa/Symbolbild
Seit März gilt in Deutschland: Jeder und jede Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen muss vollständig gegen Covid-19 geimpft oder genesen sein. Liegt den Gesundheitsämtern kein Impf- oder Genesenennachweis vor oder ein Attest, das von einer Corona-Impfung befreit, können sie Tätigkeits- oder Betretungsverbote aussprechen. So sieht es die einrichtungsbezogene Impfpflicht vor. Die Politik wollte mit dieser Regelung verhindern, dass es in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gehäuft zu Corona-Ausbrüchen kommt – und damit folglich zu schweren Erkrankungen von Risikopersonen.
Die Idee: Wenn die Mitarbeitenden ausreichend geschützt sind, infizieren sie sich seltener, sodass sie einerseits das Virus nicht auf Patientinnen und Patienten beziehungsweise Pflegebedürftige übertragen können, die dann schlimmstenfalls schwer erkranken. Andererseits, wenn sich das Personal seltener infiziert, erkrankt es auch seltener schwer an Covid-19 und muss sich nicht so oft isolieren. Das beugt wiederum Personalengpässen vor. Doch ist dieser Plan aufgegangen?
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Infektionsdruck bleibt hoch
Die genauen Effekte der Impfpflicht sind auch nach acht Monaten weiterhin unklar. Feststeht: Corona-Ausbrüche verhindert hat die Regelung in jedem Fall nicht. Das wird allein beim Blick auf den aktuellen Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) deutlich. Dort weist die Behörde darauf hin, dass die Zahl der Ausbrüche in Kliniken sowie in Alten- und Pflegeheimen gerade wieder steigt. Genauso nehmen in den Einrichtungen Todesfälle zu, die mit einer Corona-Infektion im Zusammenhang stehen. „Diese Entwicklungen können als direkte Folge der starken Ausbreitung in den vergangenen Wochen gedeutet werden“, schreibt das RKI. Zuletzt hatte sich das Virus vor allem in der älteren Bevölkerung ausgebreitet.
Es herrscht somit weiterhin ein hoher Infektionsdruck in den Risikogruppen. Und auch Personalengpässe im Gesundheits- und Pflegewesen hat die Impfpflicht nicht verhindern können. Im Gegenteil: „Die Impfpflicht verschärft in der Tat den Personalmangel im Gesundheitswesen“, schrieb Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, vor wenigen Tagen auf Twitter. Ähnlich äußerte sich Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Die Maßnahme ist mittlerweile überholt und droht zur Belastung für Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen zu werden, wo jede Fachkraft dringend gebraucht wird. Wir können dort auf niemanden verzichten.“
Aus der Impfpflicht für alle wurde die Impfpflicht für einige
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht stand von Anfang an in der Kritik. „Auch wenn von den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen eine besondere Verpflichtung zum Schutz der ihnen anvertrauten Patienten erwartet wird, erschien es schon von Anbeginn der Debatte zur Impflicht fraglich, warum diese nicht von allen Bürgern verlangt wurde“, sagte Uwe Janssens, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Tatsächlich sollte die einrichtungsbezogene Impfpflicht Vorläufer für eine allgemeine Impfpflicht sein. Doch mehrere Gesetzentwürfe hierzu waren Anfang April im Bundestag gescheitert. Deshalb lasse sich die Impfpflicht im Gesundheitswesen nun nicht mehr rechtfertigen, meint KBV-Chef Gassen. Zumal die Regelung ohnehin nur stiefmütterlich umgesetzt wurde. „Unseres Wissens nach wurden, wenn überhaupt, nur in den wenigsten Fällen Arbeitsverbote ausgesprochen“, sagte Intensivmediziner Janssens. Er stufte den Effekt der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auf das allgemeine Infektionsgeschehen nur als „gering“ ein. Schließlich seien die Impfquoten im Gesundheits- und Pflegewesen schon vor der Einführung der Impfpflicht „sehr hoch“ gewesen.
Hohe Impfbereitschaft im Gesundheitssektor ...
Tatsächlich gab und gibt es nur kleine Impflücken im Gesundheits- und Pflegesektor. Das RKI untersucht regelmäßig die Impfquote im Gesundheitswesen – und zwar mit der Kroco-Studie. Bei der Studie, die die Behörde zwischen Mitte Oktober und Mitte November 2021 durchgeführt hatte – also vor der Impfpflicht –, waren 92 Prozent der circa 16.000 befragten Klinikmitarbeitenden vollständig geimpft gewesen, 16 Prozent hatten bereits eine Auffrischungsimpfung bekommen. Ungeimpft waren nur rund 4 Prozent der Befragten.
Ein ähnliches Bild zeigt sich heute: An der letzten Kroco-Studie, die im Mai, also nach der Einführung der Impfpflicht, stattgefunden hatte, hatten knapp 15.000 Mitarbeitende aus 109 Krankenhäusern teilgenommen. Ein Großteil von ihnen (78 Prozent) war bereits dreimal geimpft gewesen. Das ist eine höhere Impfquote als bis dato in der gesamten Bevölkerung. 9 Prozent hatten sogar schon vier Impfungen erhalten. Als Grund für die Corona-Impfung nannten nur 17 Prozent der Befragten die Impfpflicht. Der Anteil der Ungeimpften lag weiterhin bei gerade einmal 4 Prozent. Auch das ist ein geringerer Wert als aktuell in Gesamtdeutschland.
... und auch in der Pflege
Auch die Impfquoten im Pflegewesen analysiert das RKI. Aus dem letzten Bericht zum freiwilligen Impfmonitoring in Langzeitpflegeeinrichtungen von Anfang Juni geht hervor, dass im März, als die Impfpflicht eingeführt wurde, circa 90 Prozent der Beschäftigten grundimmunisiert gewesen sind. Selbst Monate zuvor, im Oktober und November 2021, lag die Impfquote bei rund 80 Prozent, und stieg danach langsam an. Wiederum war die Zahl der ersten Auffrischungsimpfungen deutlich niedriger als bei den Pflegeheimbewohnenden.
Im August lieferte eine RKI-Umfrage schließlich neue Ergebnisse zur Impfquote im Pflegewesen. Demnach hatten rund 94 Prozent der Beschäftigten zum Zeitpunkt der Befragung zwei oder mehr Impfungen erhalten. Der Anteil von drei oder mehr Corona-Impfungen lag bei 73 Prozent. Nur 4 Prozent der Mitarbeitenden in der Pflege waren überhaupt nicht gegen Covid-19 geimpft.
Endet die Impfpflicht oder wird sie verlängert?
„Pflegekräfte gehen in der überwiegenden Mehrzahl verantwortungsvoll mit Schutzimpfungen um“, sagte Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Sie plädierte im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ deshalb dafür, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auslaufen zu lassen. Offiziell tritt die Regelung am 1. Januar 2023 außer Kraft. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte zuletzt offen gelassen, ob die Impfpflicht ausläuft oder verlängert wird. „Wir werden von dem Verlauf der Herbst- und Winterwelle abhängig machen, wie wir mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht umgehen“, hatte er im Bundestag erklärt.
Bayerns Gesundheitsminister: Impfpflicht bringt „mehr Schaden als Nutzen“
Pflegebevollmächtigte Moll steht mit ihrer Meinung nicht alleine da. In einem Brief an Gesundheitsminister Lauterbach fordern vier Bundesländer – Bayern, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg – ein Ende der Impfpflicht.
„Die einrichtungsbezogene Impfpflicht bringt uns mehr Schaden als Nutzen“, sagte Bayerns Gesundheitsminister, Klaus Holetschek, am vergangenen Donnerstag in München. „Wir können es uns nicht erlauben, mit einer mittlerweile völlig überholten Maßnahme diesen Bereich weiter zu strapazieren, indem wir dringend benötigtes Fachpersonal aber auch Auszubildende in andere Berufe oder ins benachbarte Ausland verdrängen.“
Holetscheks sächsische Amtskollegin Petra Köpping stellte zudem klar, dass die Impfpflicht unter dem Einfluss der Delta-Variante getroffen worden sei. Diese hatte noch vermehrt für schwere Covid-19-Krankheitsverläufe gesorgt und auch für Todesfälle. „Heute haben sich mit der Omikron-Variante die Voraussetzungen geändert“, sagte sie. Omikron ist dafür bekannt, seltener schwere Verläufe zu verursachen. Dafür ist die Virusvariante aber in der Lage, die Immunantworten von Geimpften und Genesenen teilweise zu umgehen, sodass zahlreiche (Re-)Infektionen möglich sind.
Impfungen, Masken- und Testpflicht bleiben wichtig
FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann sprach sich ebenfalls dafür aus, die Impfpflicht im Gesundheitswesen auslaufen zu lassen. „Wir können, was Covid-19 betrifft, keine allgemein verpflichtende Impfvorgaben für das Personal in Gesundheitseinrichtungen mehr geben“, sagte er. „Das macht eine Impfpflicht faktisch nicht mehr durchsetzbar.“ Ullmann betonte dennoch, dass Impfungen, „gerade im Gesundheitsbereich“, weiterhin wichtig seien.
Ähnlich bewertet DGIIN-Generalsekretär Janssens die Lage: „Eine Aufhebung beziehungsweise Fortführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hat aus Sicht der DGIIN im Krankenhausbereich aufgrund der extrem hohen Impfquote keinen wesentlichen Effekt“, erklärte er. Für relevant hält der Intensivmediziner aber die Maskenpflicht. Diese müsse weiter fortgeführt werden. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sieht zudem die Corona-Test als wichtiges Instrument an. Gegenüber der „Rheinischen Post“ sagte er: Ein bundesweites tägliches Testregime sei der Weg, in der Alten- und Krankenpflege mit Corona zu leben.
RND/mit Material der dpa