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Nach Ampeleinigung in Meseberg

Kindergrundsicherung: die wichtigsten Fragen und Antworten

Die Ampelkoalition hat sich beim Streitthema Kindergrundsicherung geeinigt. Familienministerin Lisa Paus sprach von einem „Systemwechsel“.

Die Ampelkoalition hat sich beim Streitthema Kindergrundsicherung geeinigt. Familienministerin Lisa Paus sprach von einem „Systemwechsel“.

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Berlin. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 mehr Ordnung und Übersicht in das System der verschiedenen staatlichen Leistungen für Kinder und Familien bringen. Ob damit auch Zahlungen für Kinder erhöht werden und was das Ganze kosten soll, darüber wurde monatelang in der Ampel gestritten. Bei der Ampelklausur auf Schloss Meseberg kam es nun zur Einigung.

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Was ist das Ziel der Kindergrundsicherung?

Es geht unter anderem um eine Entwirrung. Für Kinder gibt es etliche Leistungen, zum Beispiel das monatliche Kindergeld, steuerliche Kinderfreibeträge, den Kinderzuschlag für Menschen mit geringen Einkommen, Bürgergeld für Kinder oder finanzielle Hilfen für Schulmaterial, Klassenfahrten oder Mitgliedschaften in Sportverein und Musikschule. Zuständig sind unterschiedliche Behörden, und es gibt unterschiedliche Antragswege – manchmal ist Familien gar nicht bewusst, worauf sie einen Anspruch haben und wie sie an ihr Geld kommen. Die Kindergrundsicherung soll Leistungen bündeln und sicherstellen, dass Anspruchsberechtigte bekommen, was ihnen zusteht.

04.08.2023, Berlin: Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Frauen, Senioren und Jugend spricht bei einer Pressekonferenz zur Umsetzung des Kita-Qualitätsgesetzes. Der Ministerin zufolge wollen die Länder künftig rund 4/5 der Mittel in die Qualitätsentwicklung investieren. Foto: Britta Pedersen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

„Wir holen 1,9 Millionen Kinder aus dem Bürgergeld und in die Mitte der Gesellschaft“

Die Bundesregierung hat sich auf die Einführung der Kindergrundsicherung geeinigt. Im RND-Interview beziffert Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nun zum ersten Mal deren genaue Auswirkungen. Und sie bekräftigt: Auf ihrer Agenda für diese Legislaturperiode stehen noch einige Punkte.

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Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bezeichnete Bundesfamilienministerin Lisa Paus die Einführung der Kindergrundsicherung als „echten Systemwechsel“, der „das Leben für viele Familien sehr viel leichter“ machen werde. „Für Familien und ihre Kinder ist jetzt klar, dass sie künftig mit dem neuen Familienservice einen Ansprechpartner auf staatlicher Seite haben, egal, in welcher Lebens- und Einkommenssituation sie sich befinden“, sagte Paus.

Wie soll das konkret umgesetzt werden?

Es soll ab 2025 für alle Kinder einen sogenannten Garantiebetrag geben. Dieser löst das heutige Kindergeld (250 Euro pro Monat) ab. Kinder, die erwachsen sind, aber noch studieren oder in der Ausbildung sind, sollen diesen Garantiebetrag außerdem direkt bekommen – anders als das Kindergeld heute, das an die Eltern geht. Obendrauf kommt je nach Bedürftigkeit ein Zusatzbeitrag, nach Alter gestaffelt und je nach Einkommenssituation der Eltern. Je weniger sie verdienen, desto höher soll er ausfallen.

Kindergrundsicherung: Paus nennt erstmals konkrete Höhe für Familien

Ab 2025 soll die neue Kindergrundsicherung die verschiedenen staatliche Leistungen für Kinder bündeln.

Im RND-Interview gab Paus eine Einschätzung ab, wie hoch die geplante Kindergrundsicherung für armutsgefährdete Kinder ausfallen könnte. Demzufolge könnten sich 2025 Leistungen von 530 Euro für die Kleinsten bis 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben. Berücksichtigt sei dabei die angekündigte Regelsatzerhöhung beim Bürgergeld um etwa 12 Prozent für 2024 und eine angenommene weitere „moderate“ Erhöhung um 3 Prozent im Folgejahr. „Das ist ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen“, sagte Paus.

Wie errechnet sich der Zusatzbeitrag zur Kindergrundsicherung?

Aus verschiedenen Leistungen: Der bisherige Bürgergeldanteil für Kinder geht darin auf, genauso wie der Kinderzuschlag von maximal 250 Euro im Monat, den Familien bekommen, die nicht im Bürgergeldbezug sind, aber nur sehr wenig Einkommen haben.

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Der Unterschied zu heute: Es soll nur noch eine Stelle für alles zuständig sein. Die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, die sich heute bereits um das Kindergeld kümmert, wird nach Angaben von Paus zu einer „Familienservicestelle“. Familien sollen über diese Stelle mit überarbeiteter Webseite künftig aktiv darauf hingewiesen werden, welche Leistungen ihnen zustehen. So soll der bisherige Gang zu unterschiedlichen Ämtern für verschiedene Leistungen überflüssig werden. „Wenn das Einkommen einer Familie unter das Existenzminimum fällt, dann wendet sich die Servicestelle proaktiv an die Familien, um sie zu unterstützen. Das ist ein echter Systemwechsel“, erläuterte Paus gegenüber dem RND.

Worüber wurde so lange gestritten?

Wenn alle berechtigten Familien ihnen zustehende Leistungen auch erhalten, wird das mehr Geld kosten. Das war immer weitgehend unstrittig. Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums erreicht etwa der Kinderzuschlag nur rund jedes dritte anspruchsberechtigte Kind. Vor allem den Grünen war aber wichtig, dass nicht nur der Zugang zu Leistungen verbessert wird, sondern, dass der Staat diese Leistungen auch erhöht, um gegen Kinderarmut vorzugehen.

Die FDP pochte dagegen darauf, nach den teuren Corona- und Inflationsentlastungspaketen die Staatsausgaben wieder zu begrenzen, und verweist auf bereits erfolgte Erhöhungen bei Bürgergeld, Kindergeld und Kinderzuschlag. Finanzminister Christian Lindner warnte außerdem davor, dass höhere Sozialleistungen das Arbeiten unattraktiver machen könnten. Das sogenannte Lohnabstandsgebot müsse gewahrt bleiben. Der FDP-Chef hatte auch infrage gestellt, ob mehr Geld aufs Konto der Familien armen Kindern tatsächlich ideal hilft – oder ob die Mittel nicht bei Kitas, Schulen, Sprachförderung und Arbeitsintegration besser angelegt wären.

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Paus unterstrich im Gespräch mit dem RND, dass sie den Kompromiss gemeinsam mit Lindner trüge. „Im Übrigen hat auch der Finanzminister ein Interesse daran, dass die Kinderarmut zurückgeht, schließlich ruft Kinderarmut hohe Folgekosten für den Staat hervor. Für mich ist aber wichtiger, dass wir mit der Kindergrundsicherung eine klaffende Gerechtigkeitslücke schließen. Wir investieren in das Beste, was wir haben: unsere Kinder“, sagte sie.

Und wo liegt jetzt der Kompromiss? Wird es mehr Geld geben?

Ja, aber das hätte es sowieso: Denn wie schon heute beim Kindergeld wird es auch bei der Kindergrundsicherung regelmäßig Anpassungen nach oben geben, je nachdem, wie viel teurer das Leben in Deutschland wird und wie viel Geld Menschen vor diesem Hintergrund mindestens zum Leben brauchen. Dafür werden regelmäßig statistische Untersuchungen gemacht. Auch das Bürgergeld, dessen Kinderteil in die Kindergrundsicherung überführt wird, wird so angepasst. Von daher wird es auch automatisch zu Leistungserhöhungen kommen. Strittig ist aber, ob diese ausreichend sind. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor. Außerdem sollen die statistischen Berechnungen zum sogenannten soziokulturellen Existenzminimum für Kinder reformiert werden, was laut Koalition auch zu Erhöhungen führen wird.

Welche zusätzlichen Kosten werden veranschlagt?

Zunächst 2,4 Milliarden Euro für das Startjahr 2025. Aus Regierungskreisen hieß es zudem, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen der Kindergrundsicherung die Kosten in den Folgejahren auch auf bis zu 6 Milliarden Euro ansteigen könnten.

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Dies bestätigte Paus im Interview und ergänzte: „Wenn wir dann noch die weiteren Kosten für die bereits erfolgten Kindergelderhöhungen, den höheren Kinderzuschlag und zukünftige Kindergelderhöhungen dazunehmen, sind wir schon bei deutlich über 10 Milliarden Euro. Diese Bundesregierung tut viel für Familien mit Kindern. Es geht darum, was bei den Menschen ankommt.“

Wie viele Kinder in Deutschland sind denn überhaupt von Armut betroffen?

Armut ist relativ und lässt sich nicht allein am Geld bemessen. In Deutschland wird daher meist der Begriff „Armutsgefährdung“ verwendet. Wenn jemand weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat, gilt er als „armutsgefährdet“. Diese Schwelle lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr für eine alleinlebende Person bei etwa 1250 Euro netto im Monat. Knapp 2,2 Millionen der etwa 14,3 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18 fallen den Angaben zufolge in die Kategorie „armutsgefährdet“, weil sie etwa in Haushalten mit entsprechend geringen Einkommen leben.

Und wie ist jetzt der Zeitplan bei der Kindergrundsicherung?

Die Pläne werden nun zunächst an Verbände und Bundesländer zur Stellungnahme geschickt. Im Bundeskabinett könnte das Gesetz Mitte September auf den Weg gebracht werden. Anschließend muss es durch Bundestag und Bundesrat. Trotz monatelanger Diskussionen zwischen Grünen und FDP rechnen die beteiligten Minister bei der Kindergrundsicherung jetzt nicht mit weiterem Streit wie beim Gebäudeenergiegesetz (GEG). „Wir machen nicht GEG 2.0, nein, das machen wir nicht“, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). „Es ist hier beabsichtigt, und ich hab keinen Zweifel daran, dass das kommt, dass es einen Gesetzentwurf gibt, hinter dem das Kabinett steht“, sagte Lindner.

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RND/dpa/ag

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