Nio ET5 im Test: Chinas erste Elektrolimousine der Premium-Mittelklasse
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Hohe Preise, aber eine äußerst üppige Ausstattung: der Nio ET5.
© Quelle: Nio
Im beliebten Segment der elektrischen SUVs tummeln sich mittlerweile nahezu alle renommierten Autohersteller. Die hochbeinigen Autos sind nicht nur praktisch und vielseitig, sondern können auch genügend Batteriekapazität aufnehmen, um dem Kundenanspruch an eine große Reichweite zu genügen. Limousinen haben hier einen konstruktiven Nachteil, auf der anderen Seite aber den Vorteil, geschmeidiger durch den Fahrtwind zu gleiten – und somit weniger Strom zu verbrauchen.
BMW zeigt dies mit dem i4, Tesla mit dem Model 3, eines der bestverkauften Stromer in Deutschland. Ab diesem Frühjahr gesellt sich ein Dritter hinzu: Nio mit dem ET5. Die schnittige Limousine mit dem Coupé-artigen Heck, entworfen in Nios Design-Studio in München, könnte zu einem ernsthaften Mitstreiter heranwachsen. Denn das Vorurteil, chinesische Autos wären lediglich Billig-Kopien von schlechter Qualität, ist längst Vergangenheit.
Nio sieht sich als Premium-Hersteller und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: hochwertige Fahrzeuge, nachhaltige Herstellung, ansprechendes Design, emissionsfreies Fahren und ein hohes Niveau an Digitalisierung, Fahrassistenz und Komfort. Der ET5 ist nach dem ET7 (Luxuslimousine der Oberklasse) und dem EL7 (Full-size SUV) das dritte Nio-Modell auf dem deutschen Markt. Mit einer Länge von 4,79 Meter rutscht er an den oberen Rand der Mittelklasse, übertrifft das Model 3 von Tesla um zehn Zentimeter und ist genauso lang wie der BMW i4.
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Geliebtes Auto, warum haben wir dich so gern?
„Und wie heißt dein Auto?“ Über ein Auto wie über einen Freund zu sprechen gilt selbst bei Erwachsenen als normal. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Bindung zwischen Menschen und ihren Autos immer enger geworden. Warum ist das so? Und was passiert, wenn das Auto im Zuge der Verkehrswende nun an Bedeutung verliert?
Die größte Überraschung offenbart sich im Cockpit
Mag man als Betrachter von außen noch einen „Na-ja-alles-ganz-nett“-Eindruck gewinnen, ist man umso überraschter, sobald man das Lenkrad in den Händen hält. Das Interieur ist ein Kracher: clean, reduziert und trotzdem gemütlich wie in einer geschmackvoll eingerichteten Lounge. Hier waren Profis am Werk. Zentrales Element bleibt der riesige, freistehende Bildschirm in der Mitte. Über ihn läuft nahezu die komplette Bedienung ab.
Es benötigt zwar ein wenig Übung und Erfahrung, mit der Menüführung zurecht zu kommen, doch wer sein Smartphone beherrscht, hat auch mit dem Nio ET5 keine Kommunikationsprobleme. Zudem steht eine exzellente Sprachbedienung zur Verfügung. Ein „Hey, Nomi“ genügt zur Aktivierung und eine Art kleiner Tamagotschi oben auf dem Armaturenträger beginnt die Unterhaltung. Selbst ein „Massier mir den Rücken“ oder „Schalte die Lenkradheizung ein“, wird augenblicklich umgesetzt und mit einem netten „Okay“ beantwortet.
Statt großer Heckklappe nur ein kleiner Kofferraumdeckel
Ein Mangel beim Nio ET5 mag sich für all jene einstellen, die auch von einer Limousine eine gewisse Variabilität erwarten. In das schräge Heck intergierten die Designer lediglich einen kleinen Kofferraumdeckel und keine große Heckklappe. Der Grund: Die Scharniere im Dach hätten nach mehr Bauhöhe verlangt (um genügend Kopffreiheit zu gewährleisten) und so die niedrige Coupé-Silhouette gestört. Nur 386 Liter an Kofferraumvolumen bleiben dem Nio-Besitzerinnen und -Besitzer. Notfalls aber lassen sich die Rücksitzlehnen umlegen, um etwas Reservekapazität zu haben.
Beim Thema Batteriekapazität sieht die Sache deutlich besser aus. Die Kundin oder der Kunde kann wählen zwischen 75 und 100 kWh. Entsprechend alltagstauglich sind die Reichweiten. Im Maximum nach WLTP-Norm schafft der Nio ET5 bis zu 590 Kilometer. 400 bis 450 Kilometer dürften es im realen Mix sein. Immer noch ein guter Wert. Den braucht es auch, weil Nio ein bisschen bei der Ladeleistung gespart hat. In dieser Fahrzeugklasse sollten mehr als 130 kW am Schnelllader drin sein. Nichts ist nerviger, als unnötige Zeit an Ladestationen zu verbringen. Erst nach 40 Minuten ist im Bestfall die große Batterie auf 80 Prozent ihrer Kapazität gefüllt.
Batterie kann in nur fünf Minuten gewechselt werden
Und nicht jede und jeder wohnt in der Nähe einer Batteriewechselstation. Richtig gelesen, Nio baut tatsächlich ein Netz von Akku-Tauschstationen auf. Weit über 1.000 sind es bereits in China, 14 in Europa, drei in Deutschland. Noch in diesem Jahr will man die Anzahl „deutlich erweitern“, wie es von Nio heißt. Wir haben einen Akku-Tausch in Hilden nahe Düsseldorf getestet. Nach tatsächlich nur fünf Minuten kann man die Station mit „neuer“ Energie verlassen. Ein Roboter unter dem Auto schraubt die Batterie heraus und die neue wieder hinein, alles vollautomatisch, während man im Wagen sitzen bleiben kann.
Zwei Elektromotoren – einer vorne, einer hinten – mit zusammen 360 kW Leistung und üppigen 700 Newtonmeter Drehmoment treiben den Nio ET5. Das ist weit mehr als im Alltag benötigt wird, machen die Limousine aber zu einem sehr souveränen Gefährt. Wer es drauf anlegt, katapultiert sich in vier Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Die Kombination aus Ruhe und Kraft machen die Faszination aus. Besonders im Sport-Plus-Modus reagiert der ET5 äußerst spontan.
Ebenso überzeugend ist das Fahrverhalten. Die komfortable Auslegung passt perfekt zum leisen Antrieb. Präzise geht es durch Kurven und beim Thema Bremsen hat sich Nio kompetente Hilfe aus Italien geholt. An den Rädern sitzt Hightech des Spezialisten Brembo.
Hohe Preise, aber auch eine äußerst üppige Ausstattung
Ein Nio ist kein Schnäppchen, auch wenn viele das mit chinesischen Autos assoziieren mögen. Im Gegenteil, die Marke tritt auch preislich sehr selbstbewusst auf. Zugutehalten aber muss man dem Wagen eine extrem üppige Ausstattung. Kein anderes Modell in dieser Klasse verfügt über so viele Assistenzsysteme und Komfortextras. Die Aufpreisliste ist daher ungewöhnlich kurz.
Der Einstieg in die Welt von Nio beginnt bei 47.500 Euro. Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit. Die Batterie ist in dieser Summe nicht enthalten. Der Stromspeicher mit 75 kWh kostet 12.000 Euro, der größere mit 100 kWh sogar 21.000 Euro. Nio empfiehlt, die Batterie zu mieten, für 169 Euro beziehungsweise 289 Euro im Monat. Vorteil: Der ET5-Besitzer braucht sich keine Gedanken um die Alterung der Akkuzellen zu machen und kann den Service des Batterie-Tausches in Anspruch nehmen. Bis zum Jahresende ist dieser sogar kostenlos. Kauft er dagegen den ET5 komplett, bleibt er außen vor.
Als dritte Möglichkeit bietet Nio noch zwei Abo-Modelle an. Mit flexibler Laufzeit (monatlich kündbar) kostet das All-inclusive-Paket 1.238 Euro im Monat. Legt sich man sich auf eine fixe Laufzeit fest (12 bis 60 Monate) sind es monatlich 999 Euro. Und zu guter Letzt: Lange warten muss man auf einen Nio nicht. Das Unternehmen verspricht, dass der Neuwagen innerhalb von vier Monaten vor der Tür steht.
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Clean, reduziert und trotzdem gemütlich: Das Cockpit des Nio ET5 überzeugte im Test.
© Quelle: Nio
Technische Daten Nio ET5 Long Range
- Motor: 2x Elektro
- Antrieb: Allrad
- Systemleistung: 360 kW
- Max. Drehmoment: 700 Nm
- 0-100 km/h: 4,0 s
- Spitze: 200 km/h
- Verbrauch: 19,0 – 21,0 kWh/100 km
- Batteriekapazität: 100 kWh
- Ladeleistungen: 11 kW AC, 130 kW DC
- Reichweite: 525 bis 590 km
- Kofferraum: 386 Liter
- Länge/Breite/Höhe: 4.790/1.960/1.499 mm
- Leergewicht: 2.185 kg
- Anhängelast: 1.400 kg
- Basispreis: 47.500 Euro (ohne Batterie)
Wer ist Nio?
Auf dem Heimatmarkt China ist Nio seit Jahren in aller Munde. Die Marke gilt als hipp, modern und cool. Mehr als eine viertel Million NEV (New Electric Vehicle) von Nio sind bereits auf der Straße. Jetzt stößt man die Tür zu Europa auf, inklusive Deutschland, dem schwierigsten und anspruchsvollsten Automarkt der Welt. Doch Nio lässt die Sache langsam angehen, legt den Fokus nicht aufs maximales Verkaufsvolumen. Man möchte organisch wachsen, heißt es von der Vertriebsseite. „Unser Ziel für Europa ist, dass wir in drei Jahren die Marke mit der höchsten Kundenzufriedenheit sind“, sagt CEO William Li.
Statt in klassische Autohäuser geht der Nio-Kunde in sogenannte „Nio Houses“, großzügige Räumlichkeiten mit Café und Lounges, in denen auch Veranstaltungen stattfinden können. Kleinere Anlaufpunkte für Kunden nennen sich „Nio Spaces“. Sie sind hauptsächlich ausgelegt für Probefahrten.