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Neues Netzwerk schon im Juni?

Wie Instagram Twitter Konkurrenz machen will

Der Konzern Meta arbeitet offenbar an einem Twitter-Klon für seine App Instagram.

Der Konzern Meta arbeitet offenbar an einem Twitter-Klon für seine App Instagram.

Hannover. Die überraschende Nachricht zuerst: Twitter gibt es noch. Damit hätten viele Social-Media-Kennerinnen und ‑Kenner nicht zwangsläufig gerechnet – mehr als ein halbes Jahr, nachdem Techmilliardär Elon Musk den Dienst übernommen hat. Dieser hatte zunächst Tausende Beschäftigte entlassen, Rechnungen nicht mehr bezahlt – und anschließend mit unzähligen fragwürdigen Unternehmens­entscheidungen viele seiner langjährigen Nutzerinnen und Nutzer vergrault. Inzwischen zeichnet sich ab: Umgehauen hat all das den Kurznachrichtendienst nicht – doch der Ton hat sich verändert.

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Seit der Übernahme Musks legt das Unternehmen, das inzwischen offiziell X Corp heißt, nur noch wenig Wert auf die Moderation seiner Inhalte. Die Folge: Nutzerinnen und Nutzer klagen über eine Flut an Hasspostings und Trollkommentaren. Musks Netzwerk fördert das Verhalten durch Änderungen am Algorithmus und durch die Einführung des umstrittenen Bezahldienstes Twitter Blue. Technische Schwierigkeiten, ein spürbarer Rechtsruck der Plattform, zahlreiche Attacken gegen die Pressefreiheit und das Verbreiten von Verschwörungsmythen durch den Twitter-Chef sorgen seither für massive Kritik. Am Samstag wurde bekannt, dass Twitter auch aus einem EU-Abkommen zur Bekämpfung von Desinformation im Internet austritt.

Verbliebene Nutzerinnen und Nutzer wünschen sich daher seit Langem eine Alternative zum einst beliebten Kurznachrichtendienst. Und diese könnte nun ausgerechnet Konkurrent Meta mit seinem Foto- und Videonetzwerk Instagram liefern.

Instagram arbeitet an Twitter-Klon

Bereits Ende vergangenen Jahres waren erste Pläne dieser Art durchgesickert. Der gut informierte Social-Media-Berater und Branchenanalyst Matt Navarra hatte Insider-Informationen von Meta-Mitarbeiterinnen und ‑Mitarbeitern verbreitet – demnach denke der Zuckerberg-Konzern über eine Twitter-Konkurrenz­plattform nach.

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Im Frühjahr wurden die Pläne dann konkreter: Die US-Portale „Moneycontrol“ und „Mashable“ berichteten über eine Entwicklung mit dem Pilotnamen „Project 92″. Geplant sei demnach eine eigenständige Social-Media-App, die – im Gegensatz zu Instagram – nicht auf Videos und Fotos basieren soll, sondern vor allem auf Textposts. Ein Meta-Sprecher bestätigte dem Portal „Platformer“, man erforsche ein „eigenständiges dezentrales soziales Netzwerk zum Teilen von Textaktualisierungen“ – Details nannte er jedoch nicht.

Nun nehmen die Pläne offenbar Gestalt an. Laut dem Newsletter „ICYMI“ der Techexpertin Lia Haberman und dem Portal „Techcrunch“ verschickt Meta derzeit Mails an eine ausgewählte Gruppe von Entwicklerinnen und Entwicklern. Auch würden Influencerinnen und Influencer kontaktiert, die den Dienst zuerst ausprobieren dürfen. Haberman postete auch eine durchgesickerte Marketingfolie des Dienstes, in der die App als „Instagrams neue textbasierte App für Konversationen“ betitelt wird. Laut den Berichten sei der Start der neuen Plattform schon für Juni vorgesehen.

Was über den neuen Dienst bekannt ist

Was ist vom neuen Meta-Dienst zu erwarten? Laut den Ankündigungen Metas dürfte es sich beim neuen Projekt, das intern inzwischen offenbar „Barcelona“ heißt, um eine eigenständige App handeln. US-Techmedien spekulieren aber, dass die Funktion auch in der regulären Instagram-App zu finden sein werde. Der Schritt wäre nicht ganz neu: Bereits mit dem Videodienst IGTV hatte Instagram 2019 lange Videos in der eigenen App verfügbar gemacht, gleichzeitig aber auch eine eigene App dafür ins Leben gerufen.

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Klar scheint auch: Wer den neuen Twitter-Klon nutzen will, muss sich dort keinen neuen Account anlegen und auch keine neue Community aufbauen. Nutzerinnen und Nutzer können sich mit ihrem üblichen Instagram-Konto einloggen, alle Followerinnen und Follower und auch die Verifizierung des Kontos würden übertragen. Textbeiträge können beim neuen Instagram-Dienst laut den Berichten bis zu 500 Zeichen lang sein – auch Fotos, Links und Videos mit einer Länge von bis zu fünf Minuten soll man hochladen können.

Eine weitere, für den Meta-Konzern ziemlich ungewöhnliche Entscheidung: Das neue textbasierte Instagram-Netzwerk soll laut der Ankündigung dezentral funktionieren. Konkret bedeutet das: Im Gegensatz zu Twitter, dessen Netzwerk einzig und allein in der Hand von Elon Musk liegt, könnten die Inhalte auf den Servern ganz unterschiedlicher Anbieter gehostet werden. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die beliebte Twitter-Alternative Mastodon. Der neue Instagram-Dienst soll laut „Techchrunch“ auf dem Activitypub-Protokoll basieren, das auch Mastodon nutzt – damit könnte die Plattform sogar mit Mastodon kompatibel sein.

Auf den von Haberman verbreiteten Screenshots ist auch ein Prototyp der neuen App selbst zu sehen. Wenig überraschend sieht der Dienst darauf ganz ähnlich aus wie Twitter: Es gibt eine aufgeräumte Timeline, ganz in Weiß gehalten, in der sich Posts lesen, liken, kommentieren und neu posten lassen. Die Symbole und Schriftarten für diese Funktionen wurden vom klassischen Instagram übernommen.

Instagram-Pläne sind kein Einzelfall

Die Pläne des Meta-Konzerns sind nicht ungewöhnlich. Die Plattform Instagram hatte in der Vergangenheit immer wieder Trends und Marktlücken erkannt und diese zügig besetzt – oftmals wurden dafür ganze Funktionen von anderen sozialen Netzwerken kopiert. Erstmals geschah das 2016 mit den Storys, kurzen, sich selbst zerstörenden Posts, die in runden Bubbles oberhalb der klassischen Timeline angezeigt werden. Ursprünglich hatte der Messengerdienst Snapchat diese Funktion erfunden – als eine Übernahme durch Meta scheiterte, kopierte das Unternehmen sie einfach in den eigenen Dienst.

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In diesem Fall war das ziemlich erfolgreich: Bei Snapchat galt es seinerzeit als überaus schwierig, eine eigene Community aufzubauen, Promis sowie Influencerinnen und Influencer ließen sich nur schwer finden. Bei Instagram war die Infrastruktur bereits vorhanden – außerdem konnte man seine eigenen Freundinnen und Freunde von nun an mit der neuen Funktion beschallen. Die Storys gelten heute als eines der erfolgreichsten Features des sozialen Netzwerks – und haben Snapchat ohne Frage abgehängt.

Dieses Konzept ging jedoch nicht immer auf. Mit dem bereits erwähnten IGTV plante Instagram ursprünglich, die Google-Videoplattform Youtube anzugreifen. Der Plan scheiterte krachend: Der Dienst und die App wurden schnell wieder eingestampft. Videos sind heute in der regulären Instagram-App verfügbar – diese werden aber bis heute vor allem für kurze Clips genutzt. Zur Plattform Youtube mit ihren langen Videoformaten konnte der Dienst nie aufschließen.

Auch die Einführung der Reels 2020 hat ihr ursprüngliches Ziel bislang verfehlt. Die durch das chinesische Netzwerk Tiktok bekannten Hochkantvideos kopierte Instagram nahezu eins zu eins. Die Folge: Große Proteste innerhalb der Community, weil Fotoposts immer mehr in den Hintergrund rückten. Auch der Plan, Tiktok vom Thron zu stoßen, ging bislang nicht auf: Das Netzwerk aus China gilt weiterhin als die beliebteste Plattform unter Jugendlichen. Die Reels werden von Videomacherinnen und ‑machern zwar genutzt – doch überwiegend als Zweitverwertungsstelle.

Twitter-Alternativen haben Schwachstellen

Und nun soll also „Project 92“ oder „Barcelona“. Die konkreten Pläne für einen Twitter-Klon hat Meta gegenüber Medien bislang weder bestätigt noch dementiert. Sollte der Dienst aber tatsächlich im Juni an den Start gehen, könnten die Voraussetzungen besser nicht sein.

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Viele prominente Twitter-Nutzerinnen und ‑Nutzer scheuen sich vor Alternativen wie etwa dem dezentralen Netzwerk Mastodon. Der Grund: Viele haben sich auf Twitter eine beachtliche Community aufgebaut – mit Followerzahlen im hohen fünf- oder sechsstelligen Bereich. Diese lassen sich nicht einfach auf Mastodon übertragen – man müsste ganz von vorn anfangen.

Zudem gilt Mastodon wegen seiner Optik als wenig attraktiv. Das Design des Netzwerks wirkt altbacken und unübersichtlich, der Newsfeed ist chronologisch und nicht algorithmisch sortiert, die verschiedenen Anmeldeserver (auch Instanzen genannt) überfordern viele Nutzerinnen und Nutzer.

Bei Instagram wären all diese Probleme auf einen Schlag behoben: Hierbei handelt es sich um ein bereits etabliertes Netzwerk mit bestehender Community. Dieses bekäme dann eine neue Funktion, die sich umgehend und einfach nutzen ließe – und all das auch noch dezentral. Es könnte das perfekte Match sein.

Meta ist spät dran

Ein Problem gibt es aber noch: Instagram ist mit seinen Bemühungen ziemlich spät dran. Neben Mastodon arbeiten auch diverse andere Unternehmen längst an dezentralen Twitter-Alternativen. Der frühere Twitter-Chef Jack Dorsey gründete mit Bluesky eine App, die dem Musk-Netzwerk aufs Haar gleicht, aber dezentral funktioniert. Nutzen können den Dienst derzeit allerdings nur wenige: Die Anmeldung ist nur mit einer Einladung möglich.

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Auch die einst beliebte Meme-Plattform Tumblr hatte Ende vergangenen Jahres angekündigt, man wolle künftig Activitypub und damit das dezentrale Fediverse unterstützen. Über das Protokoll könnten Menschen bei Mastodon und anderen Plattformen mit denen bei Tumblr interagieren, ohne dafür etwa eine App geschweige denn ein Konto wechseln zu müssen.

Um andere Twitter-Alternativen wie etwa den Dienst Substack Notes ist es inzwischen wieder ziemlich still geworden.

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