Peiner Krankenschwester: „Corona-Leugner machen mich so wütend“

Pia Cybulko (54) ist seit 35 Jahren Krankenschwester in der „Internistischen Kardiologie“ im Peiner Klinikum. Tochter Nina (25) hat sich die Liebe zum Beruf ihrer Mutter zu Eigen gemacht. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet sie im gleichen Beruf im Peiner Klinikum in der „Gastroenterologie“, ist aber derzeit – ebenso wie bei Bedarf ihre Mutter – abgeordnet auf die Covid-Station. Im PAZ-Interview erzählen sie, ob eine Mutter gleichzeitig auch Kollegin sein kann, wie sie der Corona-Alltag bewegt und dass sie „Krankenschwesterdiesel“ tanken. Nina, was hat Sie bewogen, sich für den gleichen Beruf wie Ihre Mutter zu entscheiden? Seit ich denken kann, hat mir Mama von ihrer Arbeit erzählt und mich später sogar manchmal mitgenommen. Und weil mein kleiner Bruder ganz schwer unter Asthma litt, bin ich sowieso mit Begriffen wie Verständnis, Verantwortung oder Pflege aufgewachsen. Mama hat mir übrigens geraten, erst Pflegeassistentin zu werden. Und die Ausbildung war schon hart genug. Pia, Sie fanden das alles gut? Das kam für mich überhaupt nicht überraschend! Nina hat ja früh gespürt, wie sehr ich liebe, was ich tue. Und nein, natürlich hatte ich keine Einwände. Aber ich bin froh, dass ich sie überzeugen konnte, nicht sofort nach der Schule in die Ausbildung zur Krankenschwester, sondern erst Pflegeassistentin zu gehen. Ich finde nämlich, dass man mit 16,17 Jahren die Ernsthaftigkeit des Berufs der Krankenschwester noch nicht wirklich erkennt. Ich bin noch „Krankenschwester“ – meine Tochter eigentlich auch, nur nennt sich der Beruf heute „Gesundheits- und Krankenpflegerin“. Und welche Mutter wäre nicht wie ich glücklich, wenn sie die hohe Fachkompetenz, Empathie, Teamfähigkeit ihrer Tochter erlebt? Also: Ich fand das sogar alles sehr gut! (lacht) Bezahlung wird der Leistung nicht gerecht: Haben Sie beide den Beruf wegen seiner attraktiven Aufstiegschancen und der guten Bezahlung gewählt? Pia: Wollen Sie uns provozieren? Ehrlich gesagt habe ich zu Beginn nie an Geld oder Karriere gedacht – als Alleinerziehende schon gar nicht, denn unser Beruf ist alles andere als familienfreundlich. Jeder weiß, dass die Bezahlung dem, was wir leisten, nicht gerecht wird. Niemand wird bestreiten, dass wir, also alle Kollegen, unseren Patienten neben unserer Berufs-Routine auch Lebensmut geben, ja sogar Lebensqualität und auch als Pflegepersonal Leben retten. Das ist sehr anstrengend und sollte gerecht bezahlt werden! Von Applaus und netten Worten bekommt man vielleicht gute Laune, aber die Familie nicht satt. Nina: Nee, über Geld und Aufstiegschancen hab ich bei der Berufswahl nicht nachgedacht. Komisch, eigentlich… Arbeiten Sie als Mutter und Tochter eigentlich gemeinsam in einer Dienstschicht? Wie klappt das? Nina: Das haben wir tatsächlich schon und das war für uns beide eine interessante Erfahrung, die wir gerne wiederholen würden. Aber inzwischen arbeiten wir bewusst „gegenschichtig“. Viele Pflegerinnen und Pfleger berichten inzwischen über ihre Erlebnisse an Intensivbetten im Kampf um Leben und Tod der Patienten. Decken sich diese Berichte mit Ihren Erfahrungen? Pia und Nina: Wir haben beide einen Riesenrespekt vor den Leistungen der Intensivkräfte. Deren Fußstapfen sind für uns beide viel zu groß. Wir versuchen, auf den sogenannten „normalen“ Stationen, die Gesundheit so zu erhalten oder zumindest so wiederherzustellen, dass eine Verlegung auf die Intensivstation vermieden werden kann. Pia: Wir sind nur gut als Team, denn eine Krankenschwester kann zwar Hilfe leisten, aber nur das Team kann gemeinsam Leben retten. Wie äußern sich die Patienten? Können Sie ihnen in ihrer Angst beistehen? Haben Sie dafür Zeit? Pia: Die Zeit muss da sein! Ein Patient mit Angst braucht Verständnis und Zuspruch. Nina: Wer beispielsweise schon einmal unerträgliche Schmerzen hatte oder beispielsweise durch Luftnot echte Todesangst, der weiß, dass er außer Medikamenten und Sauerstoff ebenso dringend unsere Hand zum Festhalten, unser Ohr zum Zuhören und unsere Stimme zum Trösten braucht. Nein, das ist kein Klischee, das ist alles umso mehr unsere Aufgabe, als jetzt Besuche der Angehörigen unmöglich sind. Ohne Mitgefühl und Zuwendung wird niemand gesund! Panik in den Gesichtern der Patienten erschüttert: Was erschüttert Sie besonders? Pia: Fassungslos sehe ich in den Online-Kommentarspalten der Tagespresse, dass Leser zu Corona-Opferzahlen lachende Smileys setzen. Und ich verstehe den grenzenlosen Egoismus nicht und die Verschwörungsfanatiker, die erbarmungslos die Gesundheit unserer Familien und Freunde aufs Spiel setzen. Und kann man behaupten, das Tragen des Mund- und Nasenschutzes, das Einhalten der Hygieneregeln und Abstandhalten käme der Auflösung unserer Demokratie gleich?! Nina und Pia: Wir alle sind doch von Menschen umgeben, die uns am Herzen liegen, um die wir uns sorgen und deren Gesundheit uns wichtig ist: die Familie, Freunde, Nachbarn. Haben wir wenigstens den Schutz dieser Menschen vor Augen, sollte es doch leicht sein, die bekannten Regeln zu befolgen! So drücken wir die Fallzahlen und können darüber hinaus auch unser Krankenhaus vor der Überbelastung bewahren. Nina: In eine Situation wie diese als Krankenschwester zu geraten, hätte ich nie geglaubt. Einerseits erlebe ich die Panik bei Atemnot in den Augen und Gesichtern der Patienten und als Kontrast das Auftreten von Leugnern und Verschwörern – das macht mich so wütend, dass ich schreien könnte. Weil es so respektlos ist gegenüber unseren Patienten, den Angehörigen, den Wissenschaftlern den Ärzten – und uns. Was haben Sie für positive Erlebnisse gehabt? Pia: Die Dankbarkeit und Anerkennung unserer Patienten! Außerdem betreue ich die Facebook-Gruppe „Wir für Peine“. Da haben wir aufgerufen, Patienten mit einer Botschaft beizustehen, besonders in der Weihnachtszeit. Und viele machten mit, bastelten Sterne, schrieben Kärtchen, bemalten Steine. Wunderbar! Peiner, die genau das Richtige taten. Einfach helfen durch mitfühlen. Nina: Anerkennung tut gut. Als Team sind wir enger zusammengerückt. Nicht zu vergessen, die Soldaten und Soldatinnen, die uns hier wirklich helfen. Was machen Sie, wenn Sie mitten in der Schicht „nicht mehr können“? Pia: Ich tanke „Krankenschwesterdiesel“ (lacht)! Also Kaffee! Ein Stück Schokolade dazu und ein aufmunterndes Wort vom Team. Nina: Das Team und ich, wir tragen uns gegenseitig. Dazu einen Kaffee – und dann geht’s wieder! Gelingt es Ihnen, nach Dienstschluss die Erlebnisse auszublenden oder verfolgt Ihr Dienst oder die Auswirkungen der Seuche Sie bis in den Traum? Pia: Einzelschicksale verfolgen mich auch nach Hause und ich denke auch in der Nacht über Lösungen nach. In meiner Familie hat das Virus auch zugeschlagen – aber Besuche sind dort natürlich unmöglich. Nina: Mit meiner Mutter oder ganz engen Freunden rede ich schon mal über besonders schlimme Erlebnisse, unter Einhaltung des Datenschutzes, klar! Das hilft beim Verarbeiten. Träumen? Nein! Da gibt’s Schöneres! Respekt vor der Ansteckungsgefahr: Wie gehen Sie mit der Ansteckungsgefahr um? Haben Sie Angst? Pia: Respekt. An der Arbeitsstelle herrscht hoher Hygienestandard. Risikoreicher sind Einkaufen oder private Treffen. Achtsamkeit ist das Zauberwort. Nina: Stimmt. Bei der Arbeit fühle ich mich ausreichend geschützt. Klar sorge ich mich um meine Mutter. Wann rechnen Sie mit einer Entspannung der Lage? Pia: So schnell nicht. Im Gegenteil! Denken Sie an die Feiertage, diverse Demos und den Tourismus – besonders kürzlich im Harz. Vielleicht können wir im Sommer auf dem Marktplatz Eis essen. Welchen Beruf würden Sie wählen, wenn Sie jetzt die Gelegenheit dazu hätten? Nina: Meinen! Anspruchsvoll, niemals langweilig. Ich kann ihn nur empfehlen. Pia: Nach 35 Dienstjahren spüre ich ihn zwar körperlich. Aber Menschen zu helfen, bleibt meine Berufung. Lesen Sie auch Toben, Singen, Umarmen: „Vielleicht wertschätzen wir das künftig mehr“ Peine: Interview mit Kulturring-Geschäftsführerin Bettina Wilts Peiner Seniorenheim-Leiterin: Alle Pflegekräfte sollten mehr verdienen Von Ulrich Jaschek