Ortsheimatpfleger: „Mir fehlen oftmals die Fakten“

Sehr kritisch sieht Vöhrums Ortsheimatpfleger Werner Brandes die Aufarbeitung der Nachkriegszeit in seiner Ortschaft. Der 71-Jährige sagt der PAZ: „Mir fehlen oftmals die Fakten, es sind noch viele Fragen offen, und daher bohre ich immer wieder gezielt nach.“ Man habe – wie in vielen anderen Orten auch – den Nationalsozialismus nicht genügend thematisiert. Brandes wurde am 1. Oktober 1948 in Vöhrum an der Ziegelei geboren. Nach rund vier Jahren erfolgte ein Umzug an die Gartenstraße. Dort wuchs Werner im Drei-Generationen-Haus mit seinen drei jüngeren Schwestern, Eltern und Großeltern auf. „Ich habe selbst das Jahr 1945 nicht erlebt, da ich erst drei Jahre später geboren wurde. Aber ich habe mit vielen Vöhrumer Zeitzeugen gesprochen und jetzt auch eine eigene Ausstellung zu den Nachkriegsjahren zusammengestellt“, so der Vöhrumer. Er habe seit 1954 die Schule vor Ort besucht, und im Unterricht sei niemals über die Nazizeit gesprochen worden. Deswegen wisse man leider nur wenig über diese dunkle Zeit und auch die Jahre danach – das sei immer ein Tabuthema gewesen. Umso wichtiger sei es jetzt, diese Zeit zu beleuchten, bevor alle Zeitzeugen gestorben sind. Bezüglich der amerikanischen Soldaten in Vöhrum weiß Brandes zum Beispiel, dass damals ein unbekanntes Flugzeug nahe dem Sportplatz gelandet ist. „Es war ein deutsches Flugzeug, dessen deutsche Zeichen überklebt worden waren.“ Der Pilot habe mit der US-Führung gesprochen und sei dann wieder abgeflogen. Der Grund dieses ungewöhnlichen Fluges sei weiterhin unbekannt. Unklar sei auch, wann genau die Briten die politische Führung von den Amerikanern übernommen haben, was mit den Nazi-Verantwortlichen passiert ist und wie zum Beispiel die Flüchtlingskommission bestimmt wurde. „Klar ist, dass die Flüchtlingsverteilung für großen Ärger gesorgt hat. Als sehr ungerecht haben es die Vöhrumer empfunden, dass fast keine Flüchtlinge in der Peiner Innenstadt verteilt wurden, sondern zum Großteil in den Ortschaften“, so der 71-Jährige. Natürlich habe es in Peine weniger Nahrung als im dörflichen Vöhrum gegeben, „aber das genaue System für die damalige Zwangseinweisung ist nicht bekannt“. Seine Familie habe zum Beispiel nach dem Krieg mit 14 Personen im Haus an der Gartenstraße gewohnt. „Die Kommission hat dann bestimmt, dass wir zwei Flüchtlingsfamilien mit fünf Leuten aufnehmen müssen. Erklärungen gab es dazu nicht“, weiß Brandes. Die Flüchtlinge seien etwa vier Jahre geblieben. Man habe sich letztendlich gut verstanden, aber die Kriterien für die damaligen Anweisungen seien weiterhin unbekannt. Der Ortsheimatpfleger fasst zusammen: „Wenn man mit Zeitzeugen spricht, betonen sie oft, dass es nach dem Krieg eigentlich ein schöne Zeit war. Aber der Mensch neigt dazu, Dinge zu verklären und die schlechten Erinnerungen zu verdrängen. Deswegen muss man mit diesen Aussagen sehr vorsichtig umgehen.“ Wenn es Corona wieder zulässt, will Werner Brandes die Ausstellung „1945: Kriegsende und Neuanfang“ in der Vöhrumer Heimatstube präsentieren. Die Heimatstube belegt das gesamte Dachgeschoss im Bürgerhaus „Alte Pfarrei“ an der Kirchvordener Straße und ist mit einem Aufzug barrierefrei erreichbar. „Wir wollen dort den Mitbürgern die lokale Geschichte mit über 2000 authentischen, historischen Objekten anschaulich näherbringen und erhalten“, betont der 71-Jährige. Lesen Sie auch: „Sommer nach dem Krieg“: Große PAZ-Serie Von Thomas Kröger

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