In Peine gibt es vergleichsweise viele Geringverdiener

Fast jeder Vierte Vollzeitbeschäftigte im Landkreis Peine arbeitet mittlerweile für einen Niedriglohn und verdient damit weniger als 2267 Euro im Monat. Wer im Gastgewerbe, in der Landwirtschaft, als Reinigungskraft, im Lager und Transport oder auch in der Kunst und Unterhaltung sein Geld verdient, der ist besonders häufig betroffen. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl aus Bayern sowie ihrer Parteikollegin Jutta Krellmann aus Niedersachsen hervor. Die Auswertung des Ministeriums liegt unserer Zeitung vor. Regionsvergleich: Nur zwei Kreise hinter Peine: Ein Blick in die Peiner Statistik des 615-seitigen Werks zeigt, dass in unserem Landkreis der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, vergleichsweise hoch ist. Er lag zum Stichtag 31. Dezember 2019 bei 24,1 Prozent. Das ist der drittschlechteste Wert im ehemaligen Bezirk Braunschweig. Nur in Helmstedt (28,1) und Goslar (25,1) gibt es anteilsmäßig noch mehr Geringverdiener. Peines Wert liegt auch über dem Landesschnitt (20,1) und sogar deutlich über dem Bundesschnitt (18,8). Im Vergleich zu 2018 (24,6) ist der Niedriglohn-Anteil in Peine zwar leicht gesunken, doch 1999 lag er nur bei 18,2 Prozent. Gewerkschaft sieht Probleme in Logistikbranche: Den Vorsitzenden des Peiner DGB-Kreisverbands wundert das nicht. „Ich bin ja auch Mitglied im Beirat des Jobcenters“, merkte IG-Metall-Gewerkschaftssekretär Frank Raabe-Lindemann an, er bekommt die Probleme also aus erster Quelle zu hören. Es gebe in Peine zwar Industriebetriebe, die Löhne zahlen, „die sich sehen lassen können“. Doch Raabe-Lindemann beobachtete zuletzt immer häufiger Ansiedlungen von Firmen aus dem Logistikbereich. „Und dort müssen wir feststellen, dass das mit Blick auf das Entgelt eine Branche mit Problemen ist“, sagte er. Zwar seien mittlerweile auch hier Löhne tarifiert. „Doch wenn man sich die Qualität anschaut, sind das Löhne, die das Leben schwierig machen. Und wenn die Mitarbeiter dann in Rente gehen, gibt es richtige Probleme“, befürchtet Raabe-Lindemann. Forderung: Mehr Tarifbindung schaffen: Während ein Mitarbeiter in der Metall-Industrie 21 Euro Stundenlohn verdienen könne und Sonderzahlungen erhalte, seien in der Logistik-Branche Löhne zwischen 11 und 13 Euro üblich. In diesem Zusammenhang ausschließlich die Ansiedlungspolitik der Stadt Peine kritisieren, will der Gewerkschaftssekretär aber nicht. „Das wäre zu leicht. Ich bin mir sicher, die Herren hätten auch lieber einen Volkswagen-Standort hier.“ Mit Sorge blickt Raabe-Lindemann dagegen auf eine andere Entwicklung. „Auch in der Metallindustrie wird versucht, Logistikbereiche auszugliedern und so rein in einen Tarif für die Logistikbranche zu kommen“, monierte der DGB-Kreisvorsitzende. Im Kampf gegen Niedriglöhne hält er zwar eine Tarifbindung für das wichtigste. Doch: „Für die Mehrheit der Arbeitnehmer gibt es das nicht mehr, das war mal komplett anders. Und wo uns Tarifbindung nicht gelingt, wäre es wichtig, dass der Gesetzgeber einen ordentlichen Mindestlohn verabschiedet“, betonte Raabe-Lindemann. Lesen Sie auch Ein Elektroauto wird an einer Ladestation aufgeladen. Skepsis: Einige Peiner Pflegekräfte wollen sich nicht impfen lassen Parkplätze in Peine: Arger um Dauerparker bei Rewe Appell für Mindestlohn von 12 Euro: Das sieht auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl so, die aufgrund der Corona-Krise sogar eine weitere Spaltung der Gesellschaft befürchtet. „Diese Krise muss auch Anlass sein, um die Weichen grundlegend neu zu stellen, um den Niedriglohnbereich auszutrocknen. Es gilt, die Tarifbindung zu erhöhen, denn nur Tariflöhne garantieren eine faire Bezahlung. Flankierend muss der Mindestlohn zügig auf mindestens 12 Euro erhöht werden“, sagte die Mitinitiatorin der Niedriglohn-Anfrage an die Bundesregierung unserer Zeitung. Darüber hinaus müssten prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wie Leiharbeit und Befristungen stark eingeschränkt und Minijobs in die Sozialversicherung überführt werden. Tief besorgt ist sie, dass ausgerechnet in den Wirtschaftszweigen die aktuell besonders schwer von der Corona-Pandemie betroffen sind, wie zum Beispiel dem Gastgewerbe, schon vorher der Niedriglohnanteil bei Beschäftigten überdurchschnittlich hoch war. „Es ist völlig klar, dass gerade in dieser Branche auch das Kurzarbeitergeld schlicht nicht zum Leben reicht. Genau deswegen wäre notwendig, dass Menschen im Niedriglohnbereich, die nur den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, gezielt 100 Prozent Kurzarbeitergeld erhalten. Skandalös ist beispielsweise auch, dass Verkäuferinnen trotz erhöhten Risikos zu erkranken, 2020 sogar Einkommenseinbußen hinnehmen mussten. Statt warmer Dankesworte und Applaus braucht es einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro und Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung“, betont die Linken-Politikerin. Von Christian Meyer