Gedanken zum Sonntag: „Und vergib uns unsere Schuld“

Niemand von uns kann leben, ohne irgendwann irgendwo schuldig zu werden. Ein unbedachtes Wort, eine verletzende Äußerung, eine Handlung, die wir im Nachhinein bereuen. Die Gesichter der Schuld sind vielfältig. Genauso vielfältig ist allerdings auch die Art und Weise, wie Menschen mit ihrer persönlichen Schuld umgehen. Manche scheinen immun dagegen zu sein, was sie an Schuld auf sich geladen haben. Sie haben keine schlaflosen Nächte wegen ihrer Schuld, verdrängen sie, reden sie klein oder machen grundsätzlich andere dafür verantwortlich. Dieses Phänomen ist besonders unter einem bestimmten Typus von Politikern oder Spitzenmanagern großer Konzerne zu beobachten. Da kommt es so gut wie nie zu einer öffentlichen Entschuldigung oder zu einem demütigen Eingeständnis der eigenen Fehler. Aber es gibt auch andere Menschen. Solche, die unter ihrer Schuld leiden – manchmal so stark, dass sie darunter zu zerbrechen drohen. Und das natürlich umso mehr, wenn die Folgen einer Entscheidung oder Handlung dramatische Auswirkungen hat. Ein furchtbares Unglück gab es vor zehn Jahren. Am 24. Juli 2010 machten sich Zehntausende Besucher auf, um ein fröhliches Event zu feiern, die Loveparade in Duisburg. Sie freuten sich auf donnernde Bässe, auf wilde Tänze, auf eine Megaparty. Dann das furchtbare Unglück: Im Eingangstunnel bricht eine Massenpanik aus, Menschen werden zu Boden gerissen, Nachrückende treten auf sie drauf, andere werden an die Wände gequetscht. Es sterben 21 Menschen, mehr als 500 werden verletzt. Ab 2017 kommt es zu einem Prozess gegen insgesamt zehn Verantwortliche. Wegen geringer persönlicher Schuld wird er vor wenigen Wochen eingestellt. Die Schuldfrage ist nur ungenügend und für die Angehörigen zutiefst unbefriedigend zu lösen. Jesus weiß um die Schuld der Menschen: Jesus weiß um die Schuld der Menschen. Und in jenem Gebet, das er uns selbst gelehrt hat, dem Vaterunser, spricht er es aus, wohin unsere Schuld gehört, nämlich in die Hände Gottes. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ (Matthäus 6, 12) Wenn uns Schuld niederdrückt, wenn sie unserem Leben den Stempel aufdrückt, dann kommen wir nur wieder auf die Beine, wenn wir unsere Fehler Gott anvertrauen, wenn wir ihn um seine Vergebung bitten. Die Schuld ist dadurch nicht weg, aber sie wird uns nicht mehr zu Boden drücken. Wir dürfen wieder den aufrechten Gang lernen. Und in der Vergebung Gottes liegt der Schlüssel dafür, dass wir mit der Schuld, die andere uns gegenüber aufgeladen haben, gelassener umgehen können. Bestenfalls liegt darin sogar der Schlüssel zur Versöhnung. Ob es den Angehörigen der Opfer der Loveparade-Katastrophe je gelingen wird, den damaligen Verantwortlichen zu vergeben? Wir wissen es nicht, aber Jesus lädt uns dazu ein, zumindest darüber nachzudenken. Weil ich weiß, dass ich nur aus Vergebung leben kann, deshalb bete ich: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Von Norbert Paul, Pastor in Gadenstedt, Dungelbeck und Ölsburg