Auschwitz: „So etwas darf niemals, niemals wieder geschehen!“

Auschwitz: Mindestens 1,1 Millionen Menschen sind in dem Konzentrationslager (KZ) von 1940 bis 1945 von den Nationalsozialisten ermordet worden – überwiegend Juden. Am Anfang stand für die Schüler der Auschwitz-AG des Silberkamp-Gymnasiums in Peine ein großes Fragezeichen: „Wie konnte so etwas geschehen?“ Gemeinsam mit ihren Geschichtslehrern Simone Unthan und Arne Schlüsche machten sich die 26 Elftklässler auf den Weg zu der heutigen Gedenkstätte in Polen, um dort Antworten zu finden. Die Reise fand noch vor der Corona-Pandemie statt. Die elfstündige Hinfahrt mit dem Bus ins heutige Oswiecim verlief wie eine normale Klassenfahrt. „Uns war nicht bewusst, was auf uns zu kommt“, sagen die Schüler. Untergebracht waren sie in der internationalen Jugendbegegnungsstätte. Am Morgen nach der Ankunft gingen die Peiner zu Fuß zum Stammlager Auschwitz. „Es war ein bedrückendes Gefühl, als wir das Lagertor mit der menschenverachtenden Aufschrift ,Arbeit macht frei’ passierten, denn dort begann der eigentliche Leidensweg der Häftlinge“, schildern die Jugendlichen. Sie besichtigten die ehemaligen Steinbaracken und verschiedene Ausstellungen. Sie sahen Berge von Haaren und geflochtenen Zöpfen, von Schuhen, Brillen, Töpfen und Koffern, die den Häftlingen bei der Ankunft abgenommen wurden, beklemmend war das Gefühl in den Zellen im Keller. Im Krematorium I im Stammlager herrschte eine unwirkliche Atmosphäre. „Es war eine seltsame Energie zu spüren“, beschreiben die Schüler. Einige konnten die Räume nicht betreten. Besondere Begegnung beim „Buch der Namen“: Zu einer ganz besonderen Begegnung kam es beim „Buch der Namen“. Dies stellte sich allerdings erst später in Peine beim Sichten der Fotos heraus. Gut sechs Millionen Juden sind im Holocaust umgekommen, vier Millionen Namen der Oper sind in dem meterdicken Buch aufgeführt. Wieder zu Hause, entdeckten die Schüler den Namen von Margot Bertha Hertz aus Peine, die 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Ihren Stolperstein und die ihrer Familie hatten die Jugendlichen bei der Vorbereitung auf die Fahrt auf dem Peiner Marktplatz vor dem Haus Nummer 8 gesehen. Die jüdische Kaufmannsfamilie Albert, Erna, Margot Bertha und Anna Dorothea Hertz wohnte Am Markt 8 in Peine. Albert Hertz arbeitete beim Futter- und Getreidehandel Meier Seckel und war als Kassierer der Synagogen-Gemeinde tätig. Seine Tochter Margot Bertha Hertz besuchte als letzte jüdische Schülerin das Peiner Lyzeum. Albert Hertz, seine Ehefrau Erna – eine Tochter von Emil und Hilde Alexander – sowie die Töchter verließen Peine bereits 1935. Sie emigrierten nach Holland, weil sie meinten, dort überleben zu können. Als jedoch während des Zweiten Weltkriegs die Niederlande von den Nationalsozialisten besetzt wurde, nahmen die Deutschen die Familie Hertz fest und lieferten sie in das Konzentrationslager Auschwitz ein. In unterschiedlichen Lagern kamen alle Familienmitglieder um. „Und auf einmal war Auschwitz so nah. Peine schien immer weit weg von Auschwitz zu sein, aber so weit war es dann ja doch nicht“, schildern die Schüler. Eine bedrückende Erfahrung, dass die beschauliche Stadt Peine, in der sie aufgewachsen sind, auch betroffen war. Auf der anderen Seite fragten sich die Jugendlichen bei einer Stadtführung gespannt, ob das Leben in Oswiecim, dem früheren Auschwitz, heute ganz normal weitergeht. „Und die Antwort ist, Ja. Es ist eine ganz normale Stadt wie Peine.“ Größe und Dimension schwer fassbar: Am nächsten Tag fuhren die Peiner mit dem Bus zum ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Schon aus einiger Entfernung erkannten die Schüler das Torhaus, das auch Tor des Todes genannt wird. Und wieder war es ein beklemmendes und bedrückendes Gefühl hindurch zu gehen. Dahinter überblickten die Jugendlichen die Überreste des Lagers. „Die Größe und Dimension, die Auschwitz-Birkenau einmal hatte, sind nur schwer fassbar“, beschreiben sie. Im ehemaligen Vernichtungslager besichtigten die Silberkämper die Häftlingsbaracken und konnten sich kaum vorstellen, dass so viele Menschen auf so engem Raum leben – und auch sterben mussten. Im Anschluss an die Baracken ging es zu der Rampe, an der die Häftlinge mit dem Zug ankamen. Hier fand die Auswahl statt, wer von den Neuangekommenen im KZ aufgenommen wurde und wer direkt in den Gaskammern sterben würde. Unvorstellbar, dass innerhalb kürzester Zeit über Leben Tod von Menschen entschieden wurde. Nach dem Besuch der Ruinen, der Krematorien-Überreste und des Mahnmals beendeten die Silberkamp-Schüler ihre Führung in dem Haus, in dem den Häftlingen die Haare geschoren, ihnen Nummern eintätowiert und ihnen die KZ-Kleidung ausgeteilt wurden. Im letzten Raum waren drei Wände mit privaten Fotos von Häftlingen aus der Vorkriegszeit aufgestellt. Vor allem die Kinderbilder gingen den Schülern sehr nah. Die elfstündige Rückfahrt mit dem Bus nach Peine war ruhiger, die Eindrücke hatten sich noch nicht gesetzt. Aber den Jugendlichen wurde bewusst, wie komfortabel und bequem ihre Fahrt nach Auschwitz war – ganz im Gegensatz zu den Torturen, die die Häftlinge auf ihrem Weg dorthin auf sich nehmen mussten. Das Verarbeiten des Erlebten begann erst zu Hause – langsam, beim Erzählen und in den Gesprächen mit Freunden, Eltern, Geschwistern und Großeltern. Und dann kamen auch Tränen. Schüler stärken: „Wir wollen unsere Schüler stärken“, sagen Simone Unthan und Arne Schlüsche. „Vor dem Hintergrund zunehmender rechter Tendenzen sollen sie Argumente dagegen bekommen.“ Das Thema Nationalsozialismus und Konzentrationslager sei im Unterricht behandelt worden, und man habe viel darüber gelesen. „Aber wenn man direkt vor Ort ist, die Bedrückung spürt, wie unfassbar und nicht nachvollziehbar das alles war, ist das etwas ganz anderes – bekommt alles eine ganz andere Dimension“, erklären die Pädagogen. Am Ende der Fahrt der 26 Silberkamp-Schüler gab es sicherlich immer noch mehr Fragen als Antworten. Aber es steht auch ein großes Ausrufezeichen: „So etwas darf niemals, niemals wieder geschehen!“ Lesen Sie auch: Vor 75 Jahren: Peine wurde kampflos an US-Truppen übergeben „Schwer in Worte zu fassen“: Azubis berichten von Erlebnissen in Auschwitz „Müssen uns Hass entgegenstellen“ – Niedersachsen gedenkt der Opfer des Holocaust Auschwitz gilt als Symbol für den Holocaust, für die unfassbare fabrikmäßige Ermordung von Menschen. Mindestens 1,1 Millionen, die meisten davon Juden, kamen in dem Konzentrationslager (KZ) vor den Toren der polnischen Stadt Oswiecim (Polnisch für Auschwitz) ums Leben. Das Lager etwa 60 Kilometer südlich von Krakau wurde auf Befehl von Reichsführer SS Heinrich Himmler ab Juni 1940 zum größten Vernichtungslager des Dritten Reiches ausgebaut. Zuvor war es ein Arbeitslager, hauptsächlich für politische Gegner aus den eroberten Gebieten. Der erste Häftlingstransport traf am 20. Mai 1940 in Auschwitz ein. Mit Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde das KZ ausgebaut. Neben dem Stammlager ließen die Nazis 1941 ein zweites Lager, Auschwitz-Birkenau, errichten, das zum Zentrum der Vernichtung wurde. Die Gaskammern wurden 1942 gebaut. Insgesamt bestand Auschwitz aus drei Haupt- und 40 Nebenlagern. Etwa 80 Prozent der deportierten Menschen kamen direkt in die Gaskammern. Diejenigen, die noch arbeiten konnten, wurden auf der berüchtigten Rampe nach Ankunft der Züge aussortiert und mussten Zwangsarbeit etwa in den nahen Buna-Werken leisten. Das Leben im Lager war geprägt von menschlicher Erniedrigung. Die Gefangenen wurden in Baracken zusammengepfercht, fehlende Hygiene, Hunger und Kälte verursachten Krankheiten und Epidemien. Wer Schwäche zeigte, wurde schikaniert und aussortiert. Am 27. Januar 1945 befreiten Sowjet-Truppen das KZ. Im Jahr 2005, zum 60. Jahrestag, erklärten die UN den 27. Januar zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts. Von Jan Tiemann

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