Wenn der deutsche Angriff bei der Handball-Weltmeisterschaft in Schweden nicht auf Touren kommt und Fehler über Fehler produziert, dann muss über Michael Kraus geredet werden. Dem einstigen deutschen Senkrechtstarter ist die 24:26-Niederlage gegen Spanien vom Montag zwar nicht alleine anzulasten, aber einen Anteil daran hat er schon.
„Das ist richtig“, gibt der Spielmacher vom HSV Hamburg zu und will die Verantwortung nicht abgeben, wenn er auch auf andere verweist. „Jeder hat mal den Ball dem Mitspieler auf die Füße oder in die Prärie geworfen, sodass er beim Gegner landete.“ Bei Kraus veranlasste die Anfangsphase der 2. Halbzeit Heiner Brand zum Handeln. „Wir hatten uns in der Kabine vorgenommen, konzentriert im Angriff zu bleiben“, erklärte der Bundestrainer. Doch dann leistete sich Kraus einen überhasteten Wurf, zudem zwei Ballverluste, und Brand hatte genug. Jeder dürfe Fehler machen, sagte er. Aber es solle eben nicht an der Konzentration mangeln.
Kraus sah den Brand-Rüffel am Dienstag eher gelassen. „Er nimmt sich seine Führungsspieler immer mal vor. Aber ich denke schon, dass ich in der Schlussphase hätte helfen können“, erwiderte der 27-Jährige. In den letzten zehn Minuten war im deutschen Angriff das Chaos ausgebrochen, der 21:18-Vorsprung schmolz dahin. Kraus erhielt kein Vertrauen mehr und gestand: „Ganz klar, ich bin noch nicht im Turnier.“
Er gilt als sensibler Spieler. Es habe ihn schon geärgert, dass er im ersten Spiel gegen Ägypten nicht in der Anfangsformation gestanden habe, zumal es in der Vorbereitung ganz ordentlich gelaufen sei. „Mein Selbstbewusstsein hat dadurch schon ein bisschen gelitten.“ Brand hatten die guten Leistungen des 27-Jährigen in den Test-Länderspielen gegen Island nicht davon abgehalten, in den bisherigen drei Spielen stets dem Göppinger Michael Haaß den Vorzug zu geben.
Der Gegner Frankreich (18.15 Uhr, live in der ARD) ist für Kraus keiner wie jeder andere. Gegen den aktuellen Titelträger ging bei der WM 2007 sein Stern am deutschen Handball-Himmel auf. Alle wissen, wie schwer die Aufgabe am Mittwoch wird. Kraus weiß es auch. „Aber es macht doch Spaß, gegen eine solche Mannschaft mit solchen klasse Leuten zu spielen.“ Gegen Spaß an der Sache hat auch Brand nichts, wohl aber gegen Leichtsinnigkeit. Für ihn ist Kraus nicht der klassische Spielmacher mit den gewohnten Führungsqualitäten. Kraus ist anders, sucht selbst die Lücken und neigt zu vorschnellen Abschlüssen, wenn es nicht gleich gelingt. Alle hoffen nun, dass am Mittwoch bei ihm der Knoten platzt. „Irgendwann klappt es“, sagt Haaß. „Frankreich liegt ihm doch.“ Ausgerechnet Haaß, der dann seinen Stammplatz verlieren würde, hofft auf Kraus. „Weil wir ihn als Mannschaft brauchen.“
Die Franzosen traten bislang sehr souverän auf, hatten aber noch keine schweren Gegner. Sie wollen bei dieser WM auch Werbung in eigener Sache betreiben. Ihre Spiele in Schweden werden zu Hause nur im Bezahlfernsehen gezeigt, und das ärgert sie angesichts ihrer Erfolge schon. Der Olympiasieger, Welt- und Europameister geht natürlich als Favorit in die Partie, auch wenn Bertrand Gille abwehrt. „Wir haben großen Respekt vor der deutschen Mannschaft“, sagte der Franzose vom HSV. „Sie ist schwer zu verteidigen. Man weiß nie, welcher Spieler ihren Angriff dominieren wird.“
Das weiß nach der dritten WM-Partie tatsächlich niemand. Vielleicht wird es am Mittwoch Kraus, Gilles Teamkollege aus Hamburg.
Winfried Wächter