Trotz Euro-Schuldenkrise und Turbulenzen an den Börsen glauben hochrangige Wirtschaftsvertreter noch nicht an ein Ende des deutschen Aufschwungs. „Ich gehe davon aus, dass wir für das Gesamtjahr ein Wachstum von mehr als drei Prozent verzeichnen werden“, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstag). „Unsere Konjunkturdaten zeigen, dass wichtige Wirtschaftszweige - die Automobil- und Zulieferindustrie, der Maschinenbau und die chemische Industrie - stark bleiben“, betonte der Chef der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA).
Die Dynamik der deutschen Wirtschaft hatte sich im zweiten Quartal deutlich abgeschwächt, das Wachstum lag im Vergleich zum Jahresanfang (1,3 Prozent) nur noch bei 0,1 Prozent. Als Gründe gelten die Schuldenkrise im Euroraum und die schwächelnde US-Konjunktur. Zahlreiche Banken hatten nach den Ereignissen der vergangenen Wochen ihre Konjunkturprognosen für 2011 und 2012 gesenkt. Joachim Fels, Chefökonom bei der US-Bank Morgan Stanley, sagte der „Welt am Sonntag“: „Das Risiko, dass Deutschland innerhalb der kommenden zwölf Monate in eine Rezession rutscht, ist deutlich gestiegen und dürfte bei 25 Prozent liegen.“
Aus Sicht der Einzelhandelsbranche lassen sich jedoch die Verbraucher durch die Börsenkrise nicht vom Geldausgeben abhalten. „Die deutschen Konsumenten trotzen bisher allen Krisen, ihre Kauflaune ist stabil. Daher rechnen wir im Einzelhandel weiterhin mit einem Wachstum von rund 1,5 Prozent für das Gesamtjahr 2011“, sagte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), der „WirtschaftsWoche“.
Hundt: Arbeitslosenzahl könnte auf 2,6 Millionen sinken
Arbeitgeberpräsident Hundt hält gerade die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt weiterhin für entspannt. „Wir werden in diesem Jahr deutlich unter drei Millionen (Arbeitslosen) bleiben.“ Für 2012 halte er es sogar für denkbar, dass die Arbeitslosenzahl vorübergehend auf 2,6 Millionen sinkt - wenn die Konjunktur stabil bleibt.
Dieser Einschätzung schließt sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) an. „Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass es weiter Risiken für den Arbeitsmarkt gibt. Wir bleiben aber bei unserer Einschätzung, dass sich der Arbeitsmarkt dieses und nächstes Jahr günstig entwickelt“, sagte BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise der dpa. Die Exportaussichten der deutschen Industrie seien weiter gut, die Binnenkonjunktur stabil und die Unternehmen dadurch weiterhin bereit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Zwar werde sich der Job-Aufschwung 2012 nicht mehr im bisherigen Tempo fortsetzen. „Wir sehen aber auch nach den Turbulenzen an den Finanzmärkten derzeit keinen Anlass, von unserem bisherigen Korridor für nächstes Jahr abzuweichen“, sagte Weise. Danach würde die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt auf 2,7 Millionen sinken - das wären im Jahresschnitt rund 200.000 weniger Jobsucher als 2011. Was dem Arbeitsmarkt neben der guten Konjunktur helfe, sei die wachsende Sorge vieler Unternehmen vor einem Fachkräftemangel. Jeder Firmenchef sei daher bestrebt, qualifizierte Mitarbeiter zu halten.
Eine Studie geht sogar davon aus, dass sich die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland bis 2050 auf 26,5 Millionen fast halbieren könnte. Das berichtet das Nachrichtenmagazin „Focus“ unter Bezug auf den Entwurf des Demografieberichts der Bundesregierung, der im Herbst vorgestellt werden soll. Aufgefangen werden könnte dieses Defizit am Arbeitsmarkt zum Beispiel durch verstärkte Einwanderung.
dpa