„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Sebastian Gemkow. Gegen 19.45 Uhr am Mittwochabend hängt der bestbewachte Gefangene des Landes, Dschaber al-Bakr, stranguliert mit seinem Hemd am Gitter seiner Zelle 144. Nicht vorhersehbar nennt der sächsische CDU-Justizminister den Selbstmord des mutmaßlichen IS-Terroristen – nachdem der Syrer vor seinem Suizid eine Lampe von der Zellendecke gerissen, an Steckdosen hantiert und seit Tagen jegliche Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme verweigert hat.
Man habe „keine akute Suizidgefahr“ bei dem 22-Jährigen gesehen, betont der Leiter der JVA Leipzig, Rolf Jacob, auf der Pressekonferenz am Donnerstag in Dresden. Zu diesem Ergebnis seien Psychologen und andere mit dem Fall betraute Fachleute gekommen. „Vielleicht waren wir doch ein bisschen zu gutgläubig“, sagt der Gefängnischef und skizziert noch einmal die letzten drei Tage des U-Häftlings – und damit indirekt die Verfehlungen der eigenen Beamten. Denn gleich mehrere Anzeichen für den bevorstehenden Freitod wurden offenbar nicht erkannt.
Azubi findet den toten Gefangenen
Bezeichnend für das Desaster: Ausgerechnet eine Auszubildende der JVA fand den Inhaftierten am Abend tot in seiner Zelle. Er habe sich mit seinem Häftlings-Shirt an einem Vorgitter erhängt, heißt es. Wie genau, darauf können weder Jacob noch Gemkow eine klare Antwort geben. Es habe im Vorfeld keine klaren Anzeichen für eine Selbst- oder Fremdgefährdung gegeben – im Nachhinein eine fatale Fehleinschätzung.
Zwei Suizidversuche ohne Konsequenzen
Ein Aufnahmegespräch mit einer Psychologin und einem arabisch sprechenden Dolmetscher – al-Bakr spricht kein Deutsch – findet erst am Dienstag statt. „Von ihr wurde eingeschätzt, dass er ruhig und zurückhaltend war“, berichtet Jacob. In einer anschließenden Beratung mit leitenden JVA-Bediensteten sei dann entschieden worden, dass man die Kontrollen vom 15- auf einen 30-Minuten-Rhythmus verringert. Dies wird auch nach zwei klaren Warnzeichen nicht revidiert.
Keine Veranlassung für Verlegung
„Vielleicht wollte er auch nur sehen, wie viele Beamte kommen“, so Jacob. Jedenfalls sei nichts weiter unternommen worden. Es habe keine weiteren „Auswirklungen auf Kontrollregime“ gegeben, räumt der JVA-Leiter Jacob etwas ungelenk ein. „Man hat es mehr als Vandalismus ausgelegt, dass er warum auch immer so gehandelt hat.“ Für eine Verlegung in eine besonders gesicherte Zelle sahen die Behörden keine Veranlassung.
Laut Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann habe der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der in dem Terrorfall ermittelt, eine Verlegung geplant. Al-Bakr hätte in den nächsten Tagen in die JVA nach Stammheim oder nach Bruchsal in Baden-Württemberg kommen sollen. In Leipzig, wo Erfahrung mit Terroristen bislang fehlte, sei der Syrer nur aufgrund des am Amtsgericht Dresden erlassenen Haftbefehls untergebracht worden.
Gemkow lehnt Rücktritt ab
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) übernimmt für den Fall die politische Verantwortung. Einen Rücktritt oder personelle Konsequenzen lehnt er jedoch ab. Auswirkungen hat der Suizid zunächst nur für den zweiten Terrorverdächtigen, in dessen Chemnitzer Wohnung al-Bakr seine Bombenwerkstatt eingerichtet haben soll.
Von Robert Nößler