Die Juristin ging im Kampf gegen Jugendkriminalität neue Wege. Sie hatte das „Neuköllner Modell“ initiiert und sich damit bundesweit einen Namen gemacht.
Der Tod der couragierten Frau wirft Fragen auf. Die Gründe liegen im Dunkeln. Wurde die Juristin Opfer ihres eigenen Erfolgs? War der Druck zu groß? Oder war die Mutter zweier Töchter einsam?
Nach einer Vermisstenmeldung hatten seit Mittwoch täglich rund 60 Polizisten mit Suchhunden und Stöcken den Tegeler Forst ohne Erfolg durchkämmt. Dort wurde gesucht, weil das verlassene Auto der Richterin am Straßenrand im Ortsteil Heiligensee stand. Die erste Suche war in der Nacht zum Donnerstag gegen drei Uhr abgebrochen worden. Die Wärmebildkamera eines Hubschraubers lieferte wegen der hohen Temperaturen keine brauchbaren Bilder.
Doch in dem Areal wurde die tote Richterin nun gefunden. In Justizkreisen hieß es, die gebürtige Rheinländerin habe sich an einem Baum erhängt. Möglich scheint, dass die Leiche bei der ersten nächtlichen Suche mit auf den Boden gerichteten Lampen übersehen wurde. Am Montag war die sportliche und schlanke Frau, die als pflichtbewusst und zuverlässig galt, zuletzt gesehen worden. An dem Tag habe sie auch letzte Korrekturen für ihr Buch „Das Ende der Geduld“ übermittelt, sagte eine Sprecherin des Verlages Herder. Der Erfahrungsbericht sollte im September erscheinen. Nun wird es ihr Vermächtnis.
Heisig war als Richterin am Amtsgericht Tiergarten für Berlin-Neukölln zuständig, einem Problembezirk mit hohem Ausländeranteil. Sie hatte es satt, dass junge Straftäter oft erst Monate nach Begehung ihrer Taten vor ihr auf der Anklagebank saßen und sich nicht mehr erinnern konnten. Nach dem „Neuköllner Modell“ folgt nun nach dem Delikt in einem beschleunigten Verfahren die Strafe auf dem Fuße. Es können vier Wochen Arrest verhängt werden, es werden Täter-Opfer-Gespräche angeordnet oder gemeinnützige Arbeit. Nur so gebe es noch die Chance auf Erziehung, hatte Heisig erklärt.
Vor rund zwei Jahren ist das „Neuköllner Modell“ gestartet, seit Juni gilt es in ganz Berlin. Heisig wollte die Spirale von Gewalt, Respektlosigkeit und Verwahrlosung stoppen, polarisierte damit aber auch. „Richterin ist mein Traumberuf“, hatte sie mal gesagt. Mit ihren Ideen handelte sie sich viel Öffentlichkeit ein, gab Interviews, trat in Talkshows auf. In Nachbarschaftsvereinen und Schulen warb Heisig dafür, dass Jugendliche mit ausländischen Wurzeln lernen müssten. „Wir brauchen Ihre Kinder ganz dringend in guten Berufen – als Polizisten, Erzieher und Ärzte“, sagte sie zu Eltern.
Heisig, seit mehr als 20 Jahren in der Berliner Justiz, galt als rastloser Mensch. Manchmal gehe sie Sonntagnachmittag ins Gericht, um in Ruhe ihre Prozesse vorzubereiten, hatte die Richterin eingeräumt. Sie schaffte es auch noch, mit ihrem Hund joggen zu gehen. Niederlagen könne sie wegstecken, sagte sie von sich. Doch manchmal habe sie das Gefühl, dass alles zu viel sei. War sie nun an dem Punkt, an dem ihre großen Projekte fertig waren und sich dahinter Leere auftat? In Justizkreisen hieß es, Heisig habe persönliche Probleme gehabt. „Da wird vieles zusammengekommen sein.“ Auch von Depressionen ist die Rede.
Ihre Töchter hielt Heisig aus allem heraus. Über ihre Arbeit sprach sie nicht mit ihnen. „Sie wollen normale Teenager sein – es stresst sie, wenn sie auf ihre Mutter angesprochen werden.“ Heisig hatte auch gesagt, dass ihr der Erfolg zu schaffen mache: „Ich habe keine Freunde hinzugewonnen. Ich fühle mich oft als Exot wahrgenommen.“ Von ihrem Mann, einem Staatsanwalt, lebte sie getrennt.
Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) zeigte sich tief erschüttert. Den Tränen nahe würdigte sie das Schaffen der „außerordentlichen“ Juristin, die sich nie gescheut habe, auch ungeliebte Wahrheiten auszusprechen. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Cornelia Pieper sagte, Deutschland verliere ein Vorbild.
Jutta Schütz