Waschbären und Marderhunde in Niedersachsen verbreitet

Herr Strauß, in Niedersachsen werden immer mehr Waschbären, Marderhunde und Nutria erlegt, die früher nichts bei uns zu suchen hatten. Warum nehmen diese gebietsfremden Arten, diese sogenannten Neozoen, immer mehr zu? Weil sie sich sehr, sehr gut in bestimmten freien ökologischen Nischen einrichten können, weil sie sehr anpassungsfähig sind, die ausgewachsenen Tiere wenige natürliche Feinde haben und sich enorm reproduzieren. Vor hundert Jahren gab es bei uns keine Waschbären, auch keine Marderhunde, die überwiegend aus Pelztierfarmen stammen, aus denen sie entwichen oder freigelassen wurden. Beim Waschbären etwa wurden zwei Pärchen in den Dreißigerjahren in Nordhessen am Edersee ausgesetzt. Die Folgen und die Nachteile sehen wir heute. Rasante Ausbreitung: Jetzt sind sie in ganz Deutschland verbreitet, auch in den Städten. Wenn man Pech hat, kann man so einen Gesellen auch im Haus haben. Wie kommt es zu dieser rasanten Verbreitung? Bei den Waschbären gibt es im wesentlichen zwei Gründerpopulationen, die eine in Nordhessen und eine weitere im Osten Deutschlands, in Straußberg, wo im Zweiten Weltkrieg eine Pelztierfarm bombardiert wurde, sodass die Tiere ins Freie entweichen konnten. Die Tiere dieser Population wurden vermutlich in den Stationen mit Wurmmitteln behandelt, sodass die Tiere nicht den auf den Menschen übertragbaren gefährlichen Waschbärspulwurm haben. Die hessische Population hingegen trägt diesen Spulwurm in sich und kann beim Menschen Organe oder Nerven schädigen – man spricht hier von einer Zoonose. In Niedersachsen treffen sich in ihrer rasanten Ausbreitung diese beiden Populationen. Lesen Sie auch: Waschbären erobern sich die Städte – wie in Laatzen Egbert Strauß ist ein promovierter Biologe und arbeitet seit 1993 am Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Der Wissenschaftler (Jahrgang 1958) ist Spezialist für Wildtiermonitoring und Wildtiermanagement. Er ist verantwortlich für die Wildtiererfassung in Niedersachsen. Im vergangenen Jahr haben Jäger in Niedersachsen mehr als 20.400 Waschbären erlegt, 36 Prozent mehr als im Vorjahr, und mehr als 4700 Marderhunde. Reicht das nicht? Oder zeigt die hohe Abschusszahl nur den gewaltigen Populationsschub der Tiere? So ist es. Gegen die rasante Ausbreitung kann nur mit einer intensiven Bejagung reagiert werden. Die EU hat 2014 eine Liste gebietsfremder Arten erstellt, in der bestimmte Neozonen wie etwa Waschbär, Marderhund und Nutria als invasiv eingestuft werden. Das heißt, diese Arten sind sehr konkurrenzstark und können massive ökologische und ökonomische Schäden verursachen. In der EU-Verordnung wird die Ausrottung von invasiven Neozoen als Ziel gefordert. Dies wird bei den weitverbreiteten Arten wie Waschbären und Nutria in Deutschland wohl nicht mehr möglich sein. Bloß nicht füttern: Ist der Begriff ausrotten noch politisch erlaubt? So formuliert es die EU-Verordnung – man kann auch von Eliminieren sprechen. Aber man muss sich stets klarmachen, dass diese Tiere heimische Arten aus unserem Lebensraum verdrängen und massive Schäden anrichten können. Die Nutria schädigt durch ihre Anlage von Bauen zudem massiv Deiche, Dämme und Uferböschungen. Aus diesem Grund bekämpfen beispielsweise die Niederländer massiv sowohl die Nutria als auch den Bisam. Die Niederlande geben jedes Jahr circa 2 Millionen Euro für die Bekämpfung der Nutria aus und 33 Millionen Euro für die Bekämpfung der Bisamratte. Dort ist allerdings die Rechtslage auch eine andere. Für ein Land, dessen Landfläche zu 60 Prozent unter dem Meeresspiegel liegt, ist dies eine echte Bedrohung. Bei einer Zuwachsrate von jährlich 400 Prozent bei einer eingerechneten natürlichen Mortalitätsrate von 50 Prozent ist so ein Kampf schwierig. In einem EU-Projekt werden gerade an unserem Institut zusammen mit den Niederlanden und Belgien Möglichkeiten eines effektiven Managements zum Eingrenzen der Nutria untersucht. Die Nutria gefährden darüber hinaus Schilf- und Röhrichtbestände in Naturschutzgebieten. Man darf sie deshalb nicht füttern, wie es zuweilen in vielen Parks wie etwa im Celler Schlosspark aus falsch verstandener Tierliebe geschieht. Aber was spricht gegen Waschbären? Das sind doch possierliche Tiere ... Und ganz schöne Räuber, anders als Marderhund sind sie zudem wahre Kletterkünstler, übernachten in Baumhöhlen, plündern Vogelnester – auch die Eier von seltenen Greifvögeln. Auch an Krötenschutzzäunen gehen sie auf Beutezug. Die können einen gehörigen Schaden anrichten, weshalb sie intensiv bejagt werden. Jäger holen die Tiere aus dem Haus: Was tue ich, wenn sich ein Waschbär in meinem Haus verirrt hat? Dann rufen Sie am besten den für ihren Ort zuständigen Jäger oder Jägerin, der eine Lebendfalle aufstellen wird. Und wenn er in dieser Falle den Waschbären fängt, dann wird er mit dem Tier in sein Revier fahren und es töten. Gibt es keine Alternative dazu? Der Jäger tötet das Tier tierschutzgerecht mit einem Fangschuss. Denn auch das ist eine Vorgabe der EU: Invasive Neozoen dürfen nicht wieder ausgesetzt werden. Sie dürfen auch nicht mehr gehalten (außer in speziellen Einrichtungen) noch darf mit ihnen gehandelt werden. Damit soll die Etablierung neuer Populationen und die weitere Ausbreitung verhindert werden. An der Tierärztlichen Hochschule Hannover wird übrigens derzeit ein Projekt durchgeführt, das unter dem Titel steht: Wie gehen wir mit eingewanderten Tierarten um – und wie wollen wir mit ihnen umgehen? Denn es gibt auch bei der Auseinandersetzung mit diesen gebietsfremden Arten viel falsch verstandene Tierliebe. Invasive Tierarten wie Waschbär, Marderhund, Nutria und Nilgans breiten sich in Niedersachsen immer stärker aus. Das zeigten die sogenannten Jagdstrecken, also die Jagdbeute der Jäger, im Jagdjahr 2019/2020, teilten das niedersächsische Agrarministerium und die Landesjägerschaft mit. Im Vergleich zum Vorjahr fiel der Anstieg der erlegten Tiere mit einem Plus von knapp 36 Prozent auf 20.414 beim Waschbär am höchsten aus, gefolgt von Nutria mit einem Plus von fast 28 Prozent auf 41.369 Tiere. Von den Marderhunden erlegten die Jäger gut 26 Prozent mehr und damit 4715 Tiere, bei der Nilgans gab es einen Anstieg um knapp 10 Prozent auf 7900 Tiere. Außerdem erlegten die Jäger 70.481 Wildschweine – gut 26 Prozent mehr als im Vorjahr und ein Rekordergebnis. Das sei ein Beitrag zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest und „enorm wichtig für unsere Landwirtschaft in Niedersachsen“, sagte Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). Das Rekordergebnis sei aber angesichts der Corona-Pandemie im laufenden Jagdjahr vermutlich nicht zu wiederholen, sagte Helmut Dammann-Tamke, der Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen. Viele Jagden seien ausgefallen, vor allem im November und Dezember werde ein Großteil der Jagdbeute erzielt. Bei Muffel- und Rotwild sank die Jagdbeute leicht, bei Reh- und Damwild gab es eine leichte Zunahme. Erfreulich sei die positive Entwicklung bei Niederwildarten wie Hase und Fasan: Günstige Witterungsbedingungen mit trockenem und warmem Frühling in den Jahren 2018, 2019 und auch 2020 hätten den Tieren gutgetan. Von Michael B. Berger

Waschbären und Marderhunde in Niedersachsen verbreitet - ein Interview