Schulen und Corona: Wie lernen die Kinder nach den Sommerferien?

In der nächsten Woche kehren die letzten Schüler – die Jahrgänge eins, fünf und sechs – nach monatelanger Corona-Zwangspause in die Schulen zurück. Noch ist offen, wie der Unterricht nach den Sommerferien weitergeht – ob die Schüler etwa in halben Klassen lernen oder im tage- oder wochenweisen Wechsel. Es wird auch diskutiert, dass der Unterricht wieder im Normalbetrieb läuft, weil für alles andere ohnehin die Räume und Lehrer fehlen. So fordert die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig (SPD), die Abstandsregeln in den Schulen abzuschaffen, damit wieder im normalen Klassenverband unterrichtet werden kann. Warum ist Niedersachsen so zögerlich, die Schulen komplett zu öffnen, andere Länder haben es doch schon vorgemacht? Es sei gut, dass Niedersachen einen moderaten Weg gehe, lobt Horst Audritz, Chef des Philologenverbandes. Er warnt vor einem Wettstreit der Lockerungen. Einige Länder wie Israel und Südkorea hätten ihre Schulen angesichts der zweiten Infektionswelle schon wieder schließen müssen. Auch in Niedersachsen hätten die Corona-Fälle in Göttingen, Cuxhaven und Bremerhaven gezeigt, wie rasant der Virus sich verbreite. Schulen seien „potenzielle Infektionshotspots“ und dürften sich keinesfalls als Vorreiter bei Lockerungen zeigen, sondern müssten Nachzügler sein, fordert Audritz. Andererseits wächst bei Eltern, Kinderärzten und Psychologen der Druck, die Schulen schneller zu öffnen. „Der Infektionsschutz darf nicht dazu führen, dass Kinder die Bildungsverlierer werden und Eltern dauerhaft auf dem Zahnfleisch gehen“, fordert Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag. Für die Lehrereinteilung im neuen Schuljahr, für mögliche Umbaumaßnahmen und für die Organisation braucht man Zeit. Wann entscheidet das Land endlich? „Unser Ziel ist: so viel Präsenzunterricht wie möglich und so viel Gesundheitsschutz wie nötig“, sagt ein Sprecher von Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). Das Konzept zum Schulstart werde noch vor der Sommerpause veröffentlicht. Da man nicht verlässlich sagen könne, wie sich die Infektionszahlen nach den Sommerferien entwickelten, arbeite man an unterschiedlichen Varianten. Berücksichtigt werden müssten auch die Fragen, ob das Abstandsgebot weiterhin gelte und wie viele Lehrer sich mit ärztlichem Attest dauerhaft vom Präsenzunterricht befreien ließen. Den ersten Schätzungen zufolge stehen rund 20 Prozent der Pädagogen nicht zur Verfügung, weil sie Vorerkrankungen haben oder mit einem Risikopatienten in einem Haushalt leben. Eine Entscheidung zum Schulstart sei überfällig, die Schulen fühlten sich bislang alleingelassen, beklagt Laura Pooth von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Es gelte, aus der Doppelbelastung zwischen Fern- und Präsenzlernen umsichtig wieder in den Normalmodus zu kommen. „Kinder benötigen pädagogische Unterstützung bei der Verarbeitung des Erlebten und keine weiteren Lernvideos oder die Paukschule alter Prägung“, sagt sie. Was macht das Lernen im Wechselmodell – mal in der Schule unter strengen Hygienevorschriften und dann wieder zu Hause – eigentlich mit den Kindern? Nicht viel Gutes, meint Margarete Daiber-Helmbold, Kinderärztin aus Laatzen und selbst siebenfache Mutter. So wie bisher könne es nach den Ferien nicht weitergehen. Dass auf den Schulhöfen das Abstandsgebot mithilfe von Absperrgittern, Zollstöcken und Trillerpfeifen durchgesetzt werde, finde sie alles andere als kindgerecht. Masken im Unterricht seien unzumutbar: Lehrer müssten sehen, ob Kinder lachten oder traurig seien. Zudem hätten viele Kinder keinen geeigneten Mund-Nasen-Schutz, denn die meisten Masken seien zu groß oder deutlich zu dick. Masken seien zudem Virenschleudern, wenn sie über Stunden getragen würden und durchfeuchteten oder nicht regelmäßig gewaschen würden. Ein „Weiter so“ im Wechselmodell sei eine Katastrophe, findet Daiber-Helmbold. Alle Kinder vermissten schon jetzt die Sozialkontakte schmerzlich, einige ihrer kleinen Patienten hätten wegen Corona bereits Angststörungen entwickelt. Es sei auch nicht gut, wenn durch den Wechsel zwischen Unterricht in der Schule und Homeschooling viele Jugendliche zwischendurch immer wieder in eine Art Corona-Ferienmodus fielen. Außerdem wachse die Lücke zwischen denen, die sehr viel lernten, und denen, die gar nichts lernten. Der Kultusminister müsse jetzt schnell entscheiden, wie es Ende August weitergehen soll, fordert die Kinderärztin. Dann könnten die sechs Wochen Ferien beispielsweise auch für Umbaumaßnahmen wie Plexiglaswände zwischen den Schultischen genutzt werden. „Kinder wünschen sich analogen Unterricht“, sagt die Medizinerin. Die Schule sei zudem eine Art Schonraum, wenn Kinder in Familien Gewalt erführen, heißt es vonseiten des Grundschulverbandes. Und der falle jetzt weg. Viele Pädagogen befürchten, dass die Schüler nach Monaten der Vereinzelung erst einmal wieder Sozialkompetenz erlernen müssen. Was macht das Wechselmodell mit den Lehrern? Bildungsverbände betonen, dass Lehrer doppelt belastet seien, die vormittags die eine Lerngruppe in der Schule und nachmittags die andere mit digitalen Aufgaben zu Hause betreuen müssten. Pädagogen an Gymnasien oder Gesamtschulen, die viele Lerngruppen unterrichten müssten, könnten ihren Schülern auch nicht die Rückmeldungen beim Onlinelernen geben, die Eltern sich wünschten, sagt Philologenchef Horst Audritz. Deshalb erhofften sich die meisten ein Zurück zum Regelbetrieb. Man könne dann wieder direkt Kontakt zu den Schülern aufnehmen, und individuelle Lernentwicklungen könnten besser beobachtet werden, sagt Eva-Maria Osterhues-Bruns, Vorsitzende des Grundschulverbandes Niedersachsen. Der normale Schulalltag biete vielen Lehrern eine Sicherheit nach dem Motto: „Das habe ich gelernt, das kann ich.“ Kinderärztin Daiber-Helmbold kritisiert grundsätzlich, dass moderne, kooperative Lernformen in der Corona-Zeit nicht möglich sind. Wie funktioniert es denn bislang mit den Corona-Regeln in der Schule? Das Einhalten der Abstandsregeln sei das bislang größte Problem, weniger das Maskentragen und das Händewaschen, teilt der Schulleitungsverband mit. Aber je größer die Lerngruppn würden, je mehr Kinder an den Schulen seien, desto enger werde es auf den Fluren und im Gebäude generell. Die Kontrolle der Regeln werde dann schwieriger. Und das Wetter spiele auch eine Rolle. Je kälter und regnerischer es sei, desto fraglicher seien Lüftungskonzepte und Formen wie Unterricht im Freien. Der Schulleitungsverband warnt daher vor einer vorschnellen Rückkehr in den Normalbetrieb. Björn Försterling, Bildungsexperte der FDP im Landtag, weist darauf hin, dass die Mehrzahl der bekannten Corona-Fälle von außen in die Schule getragen wurde und das Virus dort nicht weiterverbreitet worden sei. Gibt es gemeinsame Pläne der Kultusminister der Länder? Die Kultusministerkonferenz (KMK), die in der nächsten Woche über den Schulstart nach den Sommerferien berät, geht in einem internen Papier von drei Möglichkeiten aus – entweder die Fortsetzung des Unterrichts im Wechselmodell, die komplette Öffnung oder nur noch Homeschooling. In der ersten Phase, wenn die Hygieneregeln noch gelten, könnten nur halbe Lerngruppen unterrichtet werden. Nach Ansicht von Torsten Neumann vom Verband der Niedersächsischen Lehrkräfte könne so auch am flexibelsten auf die Entwicklung der Fallzahlen nach der Reisezeit reagiert und schnell der Schalter Richtung Normalbetrieb oder Lockdown umgelegt werden. Das heißt, das Wechselmodell könnte durchaus bis zu den Herbstferien die Regel bleiben. In einer zweiten Phase, so die KMK in ihren Überlegungen, könnten die Hygienevorschriften für alle oder einzelne Jahrgänge gelockert werden. Stufe drei sei dann die volle Rückkehr in den Normalbetrieb. Die wünscht sich Mareike Wulf, Bildungsexpertin der CDU im niedersächsischen Landtag, zumindest für die Grundschüler so schnell wie möglich. Um die Gesundheit der Lehrer zu schützen, müsse aber über Gesichtsvisiere nachgedacht werden, wie sie etwa Kosmetikerinnen tragen. Abstandsregeln werden auch nach Ansicht des SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Politze in den Grundschulen wohl nicht zu halten sein. Grundschulverbände warnen jedoch vor einer Rückkehr zum Normalbetrieb, solange es keinen Impfstoff gibt. Ganztagsangebote solle es auch nach den Sommerferien nur für Notgruppen geben, meinen Grundschulleiter. Auf was müssen sich die Eltern ab Ende August konkret einstellen? Das ist noch offen. Alles hängt vom Infektionsgeschehen ab, Virologen befürchten, dass durch vermehrtes Reisen in den Sommerferien die Anzahl der Neuinfektionen wieder ansteigen könnte. Hinzu kommt, dass im Herbst auch die Erkältungszeit beginnt. Ein komplette Öffnung der Schulen ist nur möglich, wenn das Abstandsgebot fällt. Die Eltern müssen damit rechnen, dass ihre Kinder mindestens bis zu den Herbstferien immer wieder tageweise zu Hause lernen. Ob Mittagessen und Ganztagsangebote wieder wie vor der Corona-Krise angeboten werden, ist fraglich. Laut Auskunft der Stadt reichen die Räume in den Schulen nicht aus, um alle Schüler zeitgleich in halbierten Klassen zu unterrichten. Ausreichend Container werde man auch nicht rechtzeitig zum neuen Schuljahr bekommen, außerdem fehle an vielen Schulen der Platz, diese aufzustellen. Gibt es andere Möglichkeiten? Die FDP sieht zwei Varianten: entweder regulärer Unterricht mit Schutzmaßnahmen (Masken in den Pausen und auf den Fluren) oder halbe Lerngruppen im wochenweisen Wechsel. Zudem müssten Lehrkräfte regelmäßig getestet werden. Der Kultusminister stelle das Recht der Kinder auf Bildung hinter seine Angst, eine Entscheidung zu treffen, moniert Bildungsexperte Björn Försterling in diesem Zusammenhang. Franz-Josef Meyer vom Verband Bildung und Erziehung meint, dass nach den Sommerferien erst einmal weiter im Wechsel gelernt werde. Vorausdenkende Kommunen organisierten daher schon jetzt weitere Unterrichtsräume, etwa in öffentlichen Einrichtungen, sagt er. Möglich sei auch ein Unterricht im Schichtbetrieb – vormittags und nachmittags. Sind die Digitalangebote der Schulen jetzt so ausgebaut, dass alle Schüler damit wirklich zu Hause lernen können? Nein, es fehlt nach wie vor an Infrastruktur und Inhalt. Längst nicht jeder Schüler hat ein eigenes Tablet oder einen eigenen Laptop. Mitunter müssen Schulen wochenlang auf Geräte warten, die sie dann an Schüler weiterverleihen können. Auch was genau digital gelernt werden soll, ist unklar. Zwar ist die niedersächsische Bildungscloud inzwischen an den Start gegangen, und in Hannover haben sich viele Schulen an die App schulen-hannover.de anschließen lassen. Videounterricht ist über nahezu alle Lernportale möglich, wenn allerdings zu viele Schüler gleichzeitig darauf zugreifen, gibt es Serverüberlastungen. Der Landeselternrat mahnt nach wie vor den dringenden Ausbau der Digitalangebote an. Derzeit überreiche der Kultusminister an viele Kommunen Schecks aus dem Digitalpakt, viel mehr passiere nicht, kritisiert die Vorsitzende Cindy-Patricia Heine. 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Unterricht und Corona-Krise - Normal oder weiter im Wechselmodell: Wie starten die Schulen nach den Sommerferien?