Schulen in Niedersachsen bieten kaum digitalen Unterricht an

Digitaler Unterricht per Video-Chat, im Umgang mit Soft- und Hardware geschulte Lehrer und Schulen, an denen die Schüler ihre Hausaufgaben in der Cloud ablegen können – Niedersachsen ist davon offenbar noch weit entfernt. Eine Umfrage unter Lehrern zum Fernunterricht im Corona-Lockdown hat nun ergeben, dass digitale Lösungen eine nur untergeordnete Rolle spielen. 60 Prozent der Lehrer in Niedersachsen haben laut Umfrage während der Corona-Krise vor allem per E-Mail mit ihren Schülern kommuniziert. Sogar auf dem Postweg wurden Aufgaben geschickt. Kaum täglicher Kontakt: Nur 8 Prozent der Lehrer hielten der Umfrage zufolge dabei täglich Kontakt zu ihren Schülern, immerhin die Hälfte mehrmals wöchentlich, knapp ein Viertel nur einmal die Woche und 16 Prozent sogar noch seltener. Das ist das Ergebnis einer Befragung von fobizz.com, einem Anbieter digitaler Lösungen für den Unterricht. Der NDR hatte am Dienstag zuerst darüber berichtet. Die Datenbasis ist allerdings dünn: 137 Pädagogen aus Niedersachsen haben an der Umfrage von Ende März bis Anfang April teilgenommen – von insgesamt 70.000 Lehrern in Niedersachsen. „Innovative Lehrer“: Die Daten sind also weit davon entfernt, repräsentativ zu sein. Das Ergebnis deckt sich dennoch zu großen Teilen mit Beobachtungen des Landeselternrats. „Wir haben unglaublich innovative Lehrer, die vorbildlich den Kontakt zu ihren Schülern hergestellt haben“, sagt die Vorsitzende Cindy-Patricia Heine. „Wir haben aber noch viel mehr Lehrer und Schulen, wo das überhaupt nicht funktioniert hat.“ Vor den Osterferien waren laut Heine die wenigsten Schulen über digitale Lösungen wie iServ oder der Bildungscloud mit der Außenwelt verbunden. „Die Digitalisierung wurde vom Land verschlafen – und verschleppt.“ In den Osterferien hätte man nachsteuern müssen, findet Heine, was aber unzureichend passiert sei. „Die Schulen hätten viel innovativer sein müssen.“ „Arbeiten im Notmodus“: Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne räumt ein: „Wir arbeiten im Notmodus.“ Dafür, findet der SPD-Politiker, sei es aber bisher gut gelaufen, und er verspricht Besserung für die Zukunft: „Viele Schulen nehmen das digitale Arbeiten in ihre Konzepte auf.“ Die Corona-Krise habe das Ganze beschleunigt. Geld wäre im Prinzip da – aber immer noch zu wenig, findet Elternvertreterin Heine. „Die Lufthansa bekommt 9 Milliarden Euro Corona-Hilfe, für die Digitalisierung an Schulen stehen in Niedersachsen 500 Millionen Euro zur Verfügung.“ Heine meint damit den Digitalpakt Schule über 5 Milliarden Euro, auf den sich Bund und Länder nach harten Verhandlungen geeinigt haben. 522 Millionen Euro bis 2024: Im Landeshaushalt stehen aus dem Digitalpakt 470 Millionen Euro bereit, das Land stockt die Summe um 52 Millionen Euro auf – macht 522 Millionen Euro. Damit können Schulen W-Lan-Netze ausbauen oder interaktive Tafeln und mobile Endgeräte anschaffen. Weitere 47 Millionen Euro stellt der Bund Niedersachsen zur Verfügung, um damit Tablet-Computer für bedürftige Familien anzuschaffen. Das Geld aus dem Digitalpakt soll bis 2024 fließen – aktuell sind nach Ministeriumsangaben gerade einmal 26 Millionen Euro bewilligt. Das gehe alles viel zu langsam, findet Heine. „Wann, wenn nicht jetzt wollen wir in digitale Bildung investieren?“ Spätestens nach den Sommerferien müssten alle Schulen in Niedersachsen einen guten Mix aus Präsenzunterricht und Homeschooling anbieten können. Opposition fordert mehr Tempo: Die Opposition im Landtag teilt die Kritik der Eltern. „Die Corona-Pandemie und das damit nötig gewordene Lernen zu Hause haben die Schwächen der Digitalisierung von Schulen in Niedersachsen erneut sehr deutlich gemacht“, bemängelt die Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Vielfach fehle Hardware, Software, schnelles Internet – und überhaupt ein Konzept für den Unterricht. „So kommt Niedersachsen bei der Digitalisierung der Schulen garantiert nicht voran.“ Schulen in Niedersachsen müssen weiter auf die Freischaltung der niedersächsischen Bildungscloud warten. Im Zuge der Corona-Krise hatten rund 2000 der insgesamt 3000 Schulen im Land Interesse an der Onlineplattform für den digitalen Unterricht gezeigt. Nachdem in anderen Bundesländern Sicherheitslücken bekannt geworden waren, legte Niedersachsen die Anbindung der Schulen Mitte Mai kurzfristig auf Eis. Nach Angaben des Kultusministeriums will das Land sichergehen, dass keine weiteren Sicherheitsmängel bestehen. Laut Ministerium sei der niedersächsische IT-Dienstleister n21 mit dem Hasso-Plattner-Institut (HPI), das die Cloud entwickelt hatte, zu den Themen Datenschutz und Informationssicherheit im Gespräch, unter anderem um „möglichen Vorfällen präventiv zu begegnen“. „Unser Dienstleister ist damit beauftragt, in diesem Sinne schnellstmöglich Freischaltung zu avisieren“, so ein Ministeriumssprecher. An 680 Schulen seien die Vorbereitungen zur Freischaltung der Bildungscloud bereits abgeschlossen. Es seien nicht die Lehrer, die den Fortschritt blockierten, findet auch der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling. Das Land sei bisher nicht in der Lage, die notwendigen digitalen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen. „Der Bildungsserver ist immer noch nur rudimentär vorhanden. Online-Unterrichtsstunden sind nicht entwickelt worden, und landesweite Lizenzen für Lern-Apps oder digitale Schulbücher gibt es auch noch nicht.“ Lesen Sie auch: Schulen dicht: Digitalisierung ist keine Spielerei, sondern Notwendigkeit Lernen mit neuen Medien in Hannover: Der Digitalpakt kommt – aber in den Schulen sind noch viele Fragen offen Digitales Lernen in Hannover: Ohne WLAN geht an der Südstadtschule gar nichts Von Karl Doeleke

Corona-Krise - Digitaler Unterricht? Findet (fast) nicht statt