Gorleben: Mehr als 40 Jahre Widerstand im Wendland

Die Entscheidung für Gorleben als Endlagerstandort für Atommüll fiel 1977. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) kündigte damals ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ im Wendland an. Den Ausschlag gab die Lage im dünn besiedelten damaligen Zonenrandgebiet. Ob das ehemalige Salzbergwerk mit seinem instabilen Deckgebirge sicher genug sein würde, war von Anfang an umstritten. Umgehend formierte sich Widerstand vor Ort, unterstützt von Atomkraftgegnern aus ganz Deutschland und darüber hinaus. Daraus sind nicht zuletzt politische Karrieren entstanden. Rebecca Harms (Grüne) war von Anfang an bei der Protestbewegung dabei. Damals war die mittlerweile 63-Jährige 20 Jahre alt. „Das Nachdenken über das Jahr 1977, die Standortentscheidung Gorleben und unsere Erfolge führt mich in eine Zeit, in der Deutschland noch ein anderes Land war“, erinnerte sie sich später. „Das Land und auch das Wendland endeten zwei Kilometer östlich von dem Gelände, das für die Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums ausgewählt wurde.“ Am anderen Ufer der Elbe gegenüber dem Dorf Gorleben lag zuerst das Niemandsland und dann kam die DDR. Dass der Eiserne Vorhang einmal fallen würde, konnte sich kaum jemand vorstellen. Gorleben-Treck zieht 1979 nach Hannover: Als legendär gilt der Gorleben-Treck von 1979. Mit Traktoren, Fahrrädern und zu Fuß zogen Demonstranten aus dem Wendland nach Hannover, um gegen die Pläne zu protestieren. Unter dem Motto „Albrecht, wir kommen!“ startete der Treck am 25. März in Gedelitz, immer mehr Sympathisanten schlossen sich unterwegs an. Als die Demonstranten am 31. März von Burgdorf aus in Hannover eintrafen, wurden sie von Tausende entlang der Straßen umjubelt. Rund 100.000 Menschen kamen zur Großkundgebung auf dem hannoverschen Klagesmarkt. Es war die bisher größte Demonstration in Niedersachsen und die größte Anti-Atom-Demonstration in Deutschland. Die hohe Teilnehmerzahl hatte auch damit zu tun, dass es kurz zuvor einen Unfall im Atomkraftwerk Three Mile Island in den USA gegeben hatte. Das Historische Museum Hannover hat im vergangenen Jahr anlässlich des 40. Jahrestages des Gorleben-Trecks eine überregional beachtete Sonderausstellung gezeigt. „Diese Ausstellung haben wir nun, auch im Hinblick auf die heutige Veröffentlichung des Zwischenberichts der BGE, in ein digitales Format überführt. Sie kann unter https://gorleben.hm-hannover.de/ betrachtet werden. Auch als geologische Bohrungen zwischen 1979 und 1999 ernsthafte Zweifel an der Eignung des Salzstocks als Endlagerstätte für alle Arten radioaktiver Abfälle aufkommen ließen, wurde an der Standortentscheidung festgehalten. Im Salzstock selber lagert bisher kein atomarer Müll. Lediglich im oberirdischen Zwischenlager, einer Betonhalle, befinden sich Fässer mit Atommüll. Gegen die Castor-Transporte aus dem französichen Kraftwerk La Hague dorthin zwischen 1996 und 2011 protestierten jedes Jahr Tausende. „Castor-Zeit“ in jedem Spätherbst: Bei Aktionen von Demonstranten kam es dabei regelmäßig zu Zusammenstößen mit der Polizei, die auch Wasserwerfer einsetzte. Gewaltbereite Protestierende, die sich vermummt als Schwarzer Block präsentierten, waren stets in der Minderheit. Die Demonstranten setzten in der Regel auf passiven Widerstand. Jahr für Jahr vollzog sich zur „Castor-Zeit“ im Spätherbst eine Art Ritual: mit durch Baumstämme blockierte Bahnstrecken, an Gleisen festgekettete Demonstranten und Sitzblockaden am Verladekran am Bahnhof Dannenberg und weiter auf den Straßen nach Gorleben. Letztlich wurde der Standort Gorleben, der sich jetzt als für eine Atommüllendlager ungeeignet herausstellte, erfolgreich verhindert. Lesen Sie auch Endlagersuche für Atommüll: Die Hälfte Deutschlands kommt infrage Überraschende Wende: Gorleben soll kein Atommüllendlager werden Hannover: Historisches Museum zeigt Gorleben-Proteste Von Gabriele Schulte