Bad Bevensen erhält Siegel „barrierefreier Ort“: Touristen mit Handicaps finden viele Angebote

Von der Speisekarte mit extra großen Buchstaben über Türöffner, die per Knopfdruck funktionieren, bis zum ebenen Spazierweg: Manchmal sind es Kleinigkeiten, die Menschen helfen, die ein Handicap haben. In Bad Bevensen am Rande der Lüneburger Heide gibt es so viele einzelne Erleichterungen, dass die Kleinstadt jetzt offiziell als barrierefrei zertifiziert worden ist. Es ist der erste Ort in Niedersachsen, der das Siegel bekommen hat. Orientierung für Menschen mit Behinderungen: Dabei heißt „barrierefreier Ort“ nicht, dass der gesamte Ort barrierefrei sein muss. Und barrierefrei bedeutet auch nicht immer rollstuhlgerecht. Das vom Deutschen Seminar für Tourismus in Berlin initiierte Siegel verfolgt ein anderes Ziel: Menschen mit Behinderungen sollen möglichst einfach Ziele finden, die sie in ihrem Urlaub ansteuern können, auch ohne ständig auf Hilfe anderer angewiesen zu sein. „Es geht darum, dass es viele einzelne Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt“, sagt Ines Utecht von der Bevenser Marketing GmbH. „Alles zusammen macht dann den barrierefreien Ort aus.“ Die niedersächsische TourismusMarketing GmbH hatte sich an den Kurort mit der Idee gewandt, sich doch für das Siegel zu bewerben. Ein Zertifikat ist schließlich immer auch ein Werbefaktor. Und Bad Bevensen mit seinen vier Kliniken ist ohnehin seit Jahrzehnten auf Gäste mit Einschränkungen eingestellt. Kurhaus wurde barrierefrei errichtet: So musste auch weder die Stadt noch die Marketing GmbH ihre Etats schröpfen, um die Bedingungen der Prüfer zu erfüllen und zum Beispiel teure bauliche Veränderungen herbeizuführen. Das 2016 eröffnete Kurhaus ist bereits barrierearm gebaut, Hörgeschädigte können die Konzerte dort über eine Induktionsschleife erleben. In der Jod-Therme werden Rollifahrer über ein Hebesystem ins Becken gelassen, es gibt breite Gänge und Duschen. Zahlreiche Hotels und Pensionen bieten barrierefreie Zimmer und unterfahrbare Tische in den Restaurants. Auf dem Portal www.reisen-fuer-alle.de, das das Siegel vergeben hat, werden außerdem die verkehrsberuhigte Innenstadt und zahlreiche Hotels und Pensionen mit barrierefreien Zimmern beworben. Am Bahnhof fehlt ein Fahrstuhl: Doch es gibt auch Dinge, die noch fehlen: ein Fahrstuhl am Bahnhof zum Beispiel zusätzlich zur bestehenden Rampe. „Den hätten wir wirklich sehr gern“, sagt Bürgermeisterin Gabriele Meyer. Dafür plant man im Rathaus derzeit einen barrierefreien Stadtplan, „das könnte ein Alleinstellungsmerkmal werden“. Im Kurpark öffnet im Frühjahr ein Rundweg speziell für Rollatoren, außerdem geplant ist ein Informationssystem, das auf alle Einschränkungen Rücksicht nimmt: Wer nicht gut sehen kann, soll hören können, und wer nicht gut hören kann, soll lesen können – alles auf in der Tourist-Information geliehenen Geräten, alles noch in Planung. Beliebt bei jungen Familien: Gleichzeitig erlebt der Ort etwas, das neu ist in seiner Geschichte als Luftkurort und Mineralheilbad. Galt Bad Bevensen viele Jahrzehnte lang als die Stadt der Kliniken und ihrer Patienten, ziehen seit einigen Jahren vermehrt junge Leute in die Gemeinde. Zuzügler kennt das anerkannte Bad zwar seit Jahrzehnten – meist aber waren das Großstädter, die Bad Bevensen während einer Kur kennenlernten und für die Rente dann zum Wohnort auserwählten. Die Folge: Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung war über 65 Jahre alt. Doch seit einigen Jahren ist die Gemeinde auch bei jungen Familien beliebt. Bad Bevensen ist ein staatlich anerkanntes Heilbad, aber kein Staatsbad wie Bad Pyrmont oder Bad Salzuflen. Die vier Kliniken zählen rund 225.000 Übernachtungen im Jahr, etwa ebenso viele Übernachtungen zählen die Beherbergungsbetriebe. Die Kliniken sind die größten Arbeitgeber im Ort, insgesamt gibt es in der Stadt etwa 4500 Arbeitsplätze. Etwa 3000 Menschen arbeiten in Bad Bevensen, leben aber außerhalb. Wegen des Status als Heilbad dürfen die Geschäfte zwischen April und Oktober auch sonntags öffnen. Viele Bewerber für Bauplätze: Um fast 900 Einwohner ist Bad Bevensen in den vergangenen fünf Jahren gewachsen, viele davon sind jünger als der Durchschnitt dort. 2019 wurde eine dritte Kita eröffnet. Um die 150 Bauplätze in den vergangenen fünf Jahren hat die Stadt ausgewiesen, für jedes Grundstück gab es drei Bewerber. Noch immer stehen Namen auf der Warteliste im Rathaus, aber Bürgermeisterin Meyer muss die Familien vertrösten: „Wir haben nichts mehr.“ Daher ist nicht nur der barrierefreie Stadtplan in Arbeit, sondern auch eine ganz andere Übersicht: ein Kataster mit freien Grundstücken und freien Wohnflächen. Von Carolin George