Wendeburg 1945: „Auf dem Land gab es immer etwas zu tun“

Im Sommer 1945 waren hauptsächlich landwirtschaftliche Betriebe in Wendezelle angesiedelt. Der Alarm bei Luftangriffen war schon längst nichts neues mehr für die Wendezeller Familien: Die Nacht vom 9. auf den 10. April verbrachten Einwohner, wie üblich, in den Kellerräumen. Am nächsten Tag, 10. April, wurden sie von einem rasselnden Geräusch geweckt: In der Ferne konnten die Wendezeller Panzer der amerikanischen Besatzer erkennen. Geradezu fuhren sie auf das Dorf zu. Die Fahrzeuge kamen aus Richtung Wendeburg über die Neuen Straße und rückten bis zur Straße Am Bülten vor. Ruckartig hielt die Spitze der Kolonne an: Der Führungsoffizier stellte fest, dass die Straße nicht passierbar war. Und so drehten einige Panzer um. Durch amerikanische Jagdbomber wurden kleinere Schäden verursacht, sie schossen mit Bordwaffen aus den Flugzeugen. Lager wurden nach Kriegsende ausgeräumt: Am Bülten schlugen einige der Soldaten ein Lager auf. „Dort wurden die örtlichen Parteileiter eingesperrt“, berichtet Gemeindeheimatpfleger Rolf Ahlers, den Einmarsch der Amerikaner als Fünfjähriger beobachtet hat. Das Lager hätte im Zeitraum zwischen April und Juni sechs Wochen lang bestanden. Der damalige Bürgermeister Walter Schwerdtfeger wurde in seinem Haus bewacht. In der Wendezeller Chronik wurde verzeichnet, dass sich Schwerdtfeger am 26. April selbst erschoss. Am 8. Mai hatte die deutsche Wehrmacht kapituliert. Nach Kriegsende bedienten sich die Wendeburger an eingelagerten Waren. „Im Mittellandkanal lagen Schiffe, die wegen der Trümmer der gesprengten Brücke nicht weiterfahren konnten“, berichtet Ahlers. Dort habe es Zucker und getrocknete Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen in große Menge gegeben. Außerdem wurden in Wendeburg Schuhe aus einem Braunschweiger Geschäft ausgelagert. Das Lager wurde ebenfalls ausgeräumt. „Manche ergatterten nur einen braunen und einen schwarzen oder zwei linke Schuhe“, sagt der Gemeindeheimatpfleger. Im Ländlichen gab es immer reichlich zu tun: Alle Waffen wurden in Wendeburg eingesammelt und beschlagnahmt. „Einige der Waffen wurden an der Auebrücke gegen das Gelände geschlagen, damit sie unbrauchbar waren“, schildert der Wendeburger Gemeindeheimatpfleger Ahlers. Anschließend wurden sie ins Wasser geworfen. Auch Fotoapparate und Ferngläser mussten abgeliefert werden. „Deswegen gibt es auch nur wenige Aufnahmen aus der Zeit“, sagt Ahlers. Auf dem Land habe es immer etwas zu gegeben: Erntearbeiten auf den Feldern standen an, das Vieh musste gefüttert und entmistet werden und die Kühe wurden gemolken. Die Milch wurde in der Molkerei weiterverarbeitet. „Schulen nahmen ihren Betrieb erst im Herbst wieder auf“, sagt Ahlers. Belastete Lehrkräfte seien für längere Zeit beurlaubt worden. Die Lebensmittelkarten, Kleiderkarten und Bezugscheine waren weiterhin gültig. Dorf der Kleinbauern: Meerdorf gehörte nicht schon immer zur Gemeinde Wendeburg. Erst am 1. März 1974 wurde die Ortschaft eingemeindend. Meerdorf war hauptsächlich von landwirtschaftlichen und handwerklichen Betrieben geprägt. „Unter den 869 Einwohnern gab es überwiegend Halbspänner-Höfe in Meerdorf, keine Vollspänner-Höfe“, erklärt Bernd Meier, erster Vorsitzender des Heimatvereins in Meerdorf. Vollspänner-Höfe war die Bezeichnung für landwirtschaftliche Betriebe, die vier Pferde als Nutztiere gehalten haben. Halbspänner-Höfe hatten dementsprechend nur zwei Pferde und standen in der Hierarchie an zweiter Stelle. Davon gab es sechs in der Ortschaft. Weitere Kleinbauern waren in Meerdorf auch angesiedelt. Während des Zweiten Weltkriegs sank die Einwohnerzahl in Meerdorf zunächst: Im Sommer 1945 waren es 842 Einwohner, davon waren 811 Deutsch und 31 aus dem Ausland. Im Jahr 1950 stieg die Zahl der Dazugezogenen um 42 Prozent an. Insgesamt 1222 Personen lebten nun in Meerdorf – auf 157 Wohnungen und 354 Häuser verteilten sich die Einwohner. Schwarzschlachtungen wurden streng geahndet: Auch nach dem Krieg dominierten in Meerdorf die Schlachtereien. „Sieben an der Zahl gab es hier“, erklärt Bernd Meier, erster Vorsitzender des Heimatvereins in Meerdorf. Eine davon sie die Fleischerei Führmann gewesen, die bis heute ihren Hauptsitz in Meerdorf hat. Mit den Lebensmitteln der Schlachtbetriebe wurden neben den 869 Meerdorfern auch Einwohner in den umliegenden Regionen versorgt. „Schlachtungen mussten immer bei der zuständigen Behörde gemeldet werden“, sagt Heimatvereinsvorsitzende. Aus der Hungersnot heraus habe es aber auch „Schwarzschlachtungen“ gegeben. Verstöße wurden mit einer Inhaftierung geahndet. Außerdem gab es im Ort auch eine Molkerei. Die Milch der Bauern wurde in Kannen eingesammelt, abgeholt und zur Molkerei gebracht. „Aus Meerdorf gab es 50 Zulieferer, dazu kamen noch Bauern aus Duttenstedt und Rüper“, berichtet der Heimatvereinsvorsitzende. Da es in Meerdorf hauptsächlich Kleinbauern gab, hatten manche von ihnen nur eine Kuh. „Aber sie mussten ihre Milch trotzdem abliefern“, erklärt Meier. Die Molkerei habe bis 1957 bestanden – heute steht an der Stelle der Getränkemarkt Neddermeyer. Kleidung aus Sackleinen, Obst aus Nachbars Garten und das erste Kaugummi: Die Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren eine besondere Zeit. Aber auch eine Zeit, über die es kaum Aufzeichnungen gibt, von Fotos ganz zu schweigen. Darum wollen wir die Erinnerungen, die die Menschen im Peiner Land an den Sommer nach dem Krieg noch haben, sammeln und bitten Sie, unsere Leserinnen und Leser, um Beiträge. Haben Sie die Zeit nach April 1945 als Kind oder gar Jugendlicher miterlebt und erinnern sich an die Lebensumstände, den Alltag, besondere Ereignisse? Haben Sie möglicherweise sogar Fotos aus jenen Tagen, die zeigen, wie es sich damals in Peine oder einer der Kreisgemeinden lebte? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail mit dem Betreff „Sommer nach dem Krieg“ an redaktion@paz-online.de. Schildern Sie uns Ihre Geschichte, und wenn Sie Fotos haben, scannen Sie sie bitte ein oder fotografieren sie digital ab – wir bitten Sie herzlich, uns keine Originale per Post zu schicken, da wir nicht die Verantwortung für so wichtige persönliche Schätze übernehmen wollen. Aus Ihren Erlebnissen werden wir weitere Beiträge für die gedruckte PAZ und für unser Digitalangebot unter paz-online.de anfertigen. Und damit das Bild der Monate vor 75 Jahren weiter abrunden – damit auch diejenigen vom Sommer nach dem Krieg erfahren, die diese Zeit voller Entbehrungen, aber auch voll lange vermisster Freiheit nicht selbst miterlebt haben. Lesen Sie auch: Verbotene Tauschgeschäfte und eine deutsch-britische Liebe fürs Leben Groß Ilsede 1945: „Jeder Fleck Erde wurde zum Anbau von Gemüse genutzt“ So erinnern sich Edemisser an den Sommer nach dem Krieg Edemissen 1945: Die Einwohnerzahl explodiert Als die Amerikaner mit „einer endlosen Kolonne“ in Vöhrum einzoge n Ortsheimatpfleger: „Mir fehlen oftmals die Fakten“ Vor 75 Jahren in Peine: „Wir waren frei, die Straße gehörte uns“ Peine nach dem Krieg: Das öffentliche Leben stand still „Sommer nach dem Krieg“: Die große PAZ-Serie Von Nathalie Diana

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