Supermarkt statt Weihnachtsmarkt: Schausteller-Youngster erleichtert

Für den Mödesser Justin Weber war Dienstag der schönste Tag seit Monaten obwohl der Himmel grau und bedeckt war. Denn der 20-Jährige hat nach einer langen Durststrecke, zahlreicher Aushilfsjobs und großer Zukunftsängste endlich mal wieder Geld in seinem Beruf verdient – als Schausteller. Als gegen Mittag der erste Kunde an Webers „Glockenturm“-Bude eine Tüte Schmalzkuchen bestellte, „habe ich mich gefreut wie Bolle“. „Ich habe den schlimmsten Sommer meines Lebens erlebt“: Supermarkt in Edemissen statt Weihnachtsmarkt in Gifhorn heißt es derzeit für den Schausteller-Nachwuchs Justin Weber. Er darf vorm Rewe-Markt Naschereien wie Crêpes, Lebkuchenherzen, gebrannte Mandeln oder Schmalzkuchen verkaufen. Doch die vergangenen Monate waren für den Rotblond-Schopf alles andere als mit Puderzucker bestäubt. „Ich habe den schlimmsten Sommer meines Lebens erlebt“, verdeutlicht der 20-Jährige. Denn auch bei denen, die mit Karussells und Rummeln ihr Geld verdienen, drehte sich wegen Corona nichts mehr. Und plötzlich musste Justin Weber mit seiner Schausteller-Familie um Vater Monti und Mutter Nadine nicht um die besten Stellplätze, sondern ums Überleben kämpfen. Die Corona-Soforthilfe verpuffte schnell, dann ging es ans Gesparte und dann entschied sich die Familie, einen Kredit aufzunehmen. Und der älteste Sohn zweifelte plötzlich, ob das alles so richtig war, als er sich mit 17 dazu entschieden hatte, vorzeitig von der Schule abzugehen und ebenfalls Schausteller zu werden. Schwierige Suche nach Verdienstmöglichkeiten: Schausteller ist kein klassischer Ausbildungsberuf, auch wenn der berufsschulpflichtige Nachwuchs einmal im Jahr für circa drei Wochen in einer Schule in Neumünster einen Kursus besucht, in dem es um spezielle Angebote wie Lebensmittelhygiene, Buchführung oder Arbeitssicherheit geht. „Durch die Corona-Krise habe ich mich aber vor allem darüber geärgert, dass ich nicht zunächst eine andere Ausbildung absolviert habe. Dann wäre es mir jetzt vielleicht leichter gefallen, anders Geld zu verdienen“, sagt der 20-Jährige. Der Freizeit-Park-Stellplatz zahlt sich nicht aus: Justin Weber war sich für nichts zu schade, er fragte Freunde um Jobs, mähte bei Nachbarn mal den Rasen im Garten, half im Kranservice, wagte zwischenzeitlich sogar den Sprung in die Selbstständigkeit und gründete eine Firma für Haus- und Gartenservice. „Aber das funktionierte leider nicht so.“ So wie das Abenteuer in Koblenz im Juli. Dort hatten die Webers in einem corona-konformen Freizeitpark ihren Pizza- und Schmalzkuchen-Stand aufgebaut. „Dafür hatte ich noch einmal meine letzten Ersparnisse zusammengekratzt. In die Fahrgeschäfte des Parks sind die Besucher auch gegangen, aber essen wollten sie in der Corona-Krise lieber zu Hause. Das war ein Reinfall für uns“, bedauert Justin Weber. Mit sieben schon an der Auto-Scooter-Kasse: Sein Traumberuf, er war plötzlich eher Belastung. Dabei war es einst für ihn so glasklar, dass er Schausteller werden will wie seine Eltern und seine Großeltern. „Mit sieben saß ich das erste Mal an der Autoscooter-Kasse“, erinnert sich Justin Weber. Beim Weihnachtsmarkt war er schon mit drei dabei. „Ich habe in unserer Naschbude angekuschelt am Mandelsack geschlafen.“ Karussells, Schaukeln, Schießbuden oder Imbisswagen – die Webers hatten schon alles. Und immer wenn Justin Weber mit seiner Familie auf den Festplatz fuhr und schon Kinder auf die Schausteller warteten, war für ihn klar: „Das will ich auch machen. Wenn ich gesehen habe, wie sich die Kinder gefreut haben, ist mir das Herz aufgegangen“, sagt der 20-Jährige. Lesen Sie auch: Kreis Peine: Betriebe melden wieder vermehrt Kurzarbeit an Rettungseinsatz in Schwicheldt: Katze steckt in Mauerspalt fest Transgender aus Edemissen: Lea will endlich nur noch Lea sein Als Schausteller-Kind rund 40 Schulen besucht: Seine Schulzeit war allerdings nicht immer eine Freude. Weil Schausteller von Ort zu Ort ziehen, musste Justin Weber regelmäßig die Klassen wechseln. „Ich schätze, rund 40 Schulen habe ich besucht. Das war anstrengend und manchmal blöd. Immerhin hat das mein Selbstvertrauen gestärkt. Viele Schausteller-Kinder gehen auf Privatschulen, aber ich wollte lieber bei meinen Eltern sein“, sagt er. Mit ihnen unter einem Dach lebt er weiterhin. Die geplante eigene Wohnung mit der Freundin – wegen Corona erstmal verschoben. Wie es beruflich weitergeht? Justin Weber weiß es noch nicht. Sein Traum ist es immer noch, mal ein eigenes großes Schaukel-Fahrgeschäft zu betreiben. Doch das ist derzeit nur ein Traum. „Ich habe einen Antrag auf eine Umschulung zum Lkw-Fahrer abgegeben. Da werden Leute gesucht.“ Von Christian Meyer