Rietze: !000 Kilometer auf der Via Romea durch Deutschland

Es ist schon eine Weile her, seit ein Mönch auf seiner Rückreise von Rom nach Stade durch die kleine Siedlung „Rithusen“ kam, aus der das heutige Rietze wurde. Es war im Jahr 1236. Seine Streckenbeschreibung galt als Grundlage für den Pilgerweg Via Romea, der als „Europäische Kulturroute“ zertifiziert ist. Er ist etwa 1600 Kilometer lang und führt auch durch die Gemeinde Edemissen. Die Peiner Stadtführerin Sylvia Knapek-Wodausch will mit ihrer Schwägerin in Etappen die gesamte Strecke ablaufen, mehr als die Hälfte ist bereits geschafft. Für unsere Leser berichtet sie von ihren Erfahrungen und Erlebnissen. „Wie weit seid ihr schon gekommen? Wann geht es wieder los? Diese Fragen wurden mir in den vergangenen Jahren oft gestellt“, sagt Knapek-Wodausch. Im Oktober des vergangenen Jahres konnte die 60-Jährige stolz verkünden: „Wir sind jetzt mehr als 1000 Kilometer bis nach Garmisch-Patenkirchen gegangen – und im Mai geht es weiter!“ Vor etwa fünf Jahren hat sie ihre Schwägerin Annemarie Korte überredet, mit ihr wandern zu gehen. Nicht einfach nur mal am Wochenende eine nette Tour durch den Harz, sondern auf einem Fernwanderweg, dem Pilgerweg „Via Romea“. Nach der ersten Pilgertour mehr gewollt: „Eine Ahnung, wie es sein könnte, hatte ich durch eine Pilgertour mit anderen Frauen schon erfahren. Damals waren wir dreihundert Kilometer in Etappen von Thüringen nach Hannover auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda gewandert“, erinnert sich die Dedenhäuserin. Doch wieder zu Hause angekommen, wollte sie mehr: mehr Auspowern, mehr Loslassen, mehr Freiheit, mehr Abschalten, mehr Schweigen, vielleicht auch einfach ein bisschen mehr Abenteuer. „Denn auch das kann Pilgern oder Wandern sein – egal, wie man es nennt und aus welchen Gründen man einen Weg beginnt“, sagt sie. Seit Erscheinen des Bestsellers von Harpe Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ von 2006 könnte man fast meinen, Pilgern sei zum Volkssport geworden. „Tatsächlich war es aber so, dass wir an vielen Tagen nicht einer Menschenseele auf den Wegen begegnet sind. Mag sein, dass es an dem bisher weniger bekannten Pilgerweg liegt“, sagt Knapek-Wodausch. Im Gepäck den Pilgerpass für die Pilgerstempel: Begonnen haben die beiden Frauen im Mai 2015. Von Stade aus ging es über Zeven und Scheeßel nach Rotenburg/Wümme, im Gepäck hatten sie den Pilgerpass für die Pilgerstempel. „Wir hielten uns akribisch an die Tagesetappen im Pilgerführer, hatten die Unterkünfte vorgebucht, Proviant eingepackt und leider einen viel zu schweren Rucksack auf dem Rücken“, blickt Knapek-Wodausch auf die ersten Erfahrungen zurück. Der Abt Albert des Marienklosters zu Stade machte sich im Jahr 1236 auf den langen Fußmarsch nach Rom, weil er bei Papst Gregor IX die Umwidmung seines Klosters von der damals eher lockeren Benediktiner-Regel zur strengeren Ordnung der Zisterzienser erwirken wollte. Seine Klosterbrüder hatten dieses Anliegen zuvor abgelehnt, und auch der zuständige Bischof in Bremen erteilte eine Absage. Doch auch der Papst folgte der Bitte des Abts nicht, und so blieb die Reise nach Rom und zurück für ihn letztlich erfolglos. Gelohnt hat sie sich trotzdem, auch wenn Abt Albert das längst nicht mehr erlebt hat: Seine Streckenbeschreibung gilt als die älteste einer Verkehrs- oder Straßenführung auf der Nord-Süd-Achse in Deutschland und ist Grundlage für den Pilgerweg Via Romea. Mit einer gewissen „Blauäugigkeit“ hätten sie sich an den Tagesetappen im Pilgerführer orientiert. „Das führte dazu, dass wir an den ersten Tagen durchschnittlich 40 Kilometer am Tag gehen mussten. Mehr Auspowern ging nicht. Die Strecke südlich von Stade führte uns vorbei an vielen endlosen Feldern mit endlosen geraden Wegen, die kein Ende zu nehmen schienen. So hieß es: Nicht denken, nur laufen!“, erinnert sie sich an diese Tour. Überrascht von der Hilfsbereitschaft der Menschen: Auf den weiteren Etappen ging es durch die Lüneburger Heide, Celle und schließlich auch durch den Peiner Nordkreis und Rietze. „In Braunschweig verirrten wir uns auf das Gelände der Biologischen Bundesanstalt für Landwirtschaft. Wir kamen mit einem Platzverweis davon! Vom Harz aus wanderten wir weiter durch den wunderschönen Thüringer Wald bis nach Bayern“, beschreibt die 60-Jährige die Strecke. Lesen Sie auch Straßenausbau-Beiträge: Eine Übersicht für den Landkreis Peine ++ Peine-Ticker ++ Aktuelle Corona-News und Nachrichten aus Stadt und Kreis Barrierefreiheit im Kreis Peine: Bahnsteige werden aufgestockt „Auf unseren Wegen kamen wir durch viele kleine Dörfer, besuchten all die kleinen Kirchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, mussten durch unwegsames Gelände und den Weg über Bäche finden. Wir erlebten ein Deutschland, das wir so nicht kannten. Wir wurden überrascht von der Hilfsbereitschaft der Menschen und der Schönheit der Landschaft, bekamen spontan Kirchenführungen oder holten uns den Kirchenschlüssel im Bekleidungsgeschäft gegenüber ab“, so die Erfahrungen der Frauen. Sie hätten gelernt, sich auf das Nötigste zu beschränken, und am Ende jeder Etappe brauchen sie einige Tage, um sich wieder der Betriebsamkeit des Alltags anzupassen. „Wir freuen uns jedes Mal auf die nächste Tour – besonders in diesen Zeiten! Wenn die Umstände es zulassen, gehen wir im Mai über die Alpen, und eines Tages werden wir in Rom ankommen. Frei nach Marie von Ebner-Eschenbach: Am Ziel deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: dein Wandern zum Ziel“, fasst Knapek-Wodausch zusammen. Von Kerstin Wosnitza