Die verheerenden Waldbrände dieses Sommers haben es gezeigt: Wenn der Boden völlig ausgetrocknet ist, reicht ein Funke. Eine achtlos weggeworfene Zigarette oder ein absichtlich gelegtes Feuer ist genug, um riesige Brände zu entfachen. Ähnlich ausgetrocknet ist die Zivilgesellschaft in Chemnitz. Über Monate diskutierte die Stadt darüber, ob es „wegen der Flüchtlinge“ in der Innenstadt unsicherer wurde.
Aus einem diffusen Gefühl wird Realität, Wirte klagen über Umsatzeinbußen, weil sich weniger Leute auf den Weg ins Zentrum machen. Die Stadt reagiert mit Videoüberwachung und gibt damit den Angstbürgern implizit Recht, ohne wirklich etwas zu ändern. Parteien von AfD bis CDU singen ihr Anti-Migrations-Lied. Und die unsicheren Bürger wissen dadurch zumindest, wo sie die Schuldigen suchen müssten.
Entwicklungen in Chemnitz: So entstehen Pogrome
Dann wird der Funke entzündet. Ein Mann stirbt bei einer nächtlichen Messerstecherei, zwei weitere werden verletzt. Die Polizei hält sich sehr mit Informationen zurück, die Gerüchte kann sie nicht stoppen. Dann skandieren Hooligans „Uns gehört die Stadt!“ und die ganz normalen Bürger fühlen sich angesprochen. Schließlich wirbt auch die sächsische Volkspartei AfD mit dem Slogan „Hol dir dein Land zurück“.
Dass kleine Gruppen aus der Demonstration ausbrechen und Jagd auf alle machen, die nicht weiß sind, ist aus Sicht der wütenden Bürger zu vernachlässigen. Ihre Probleme liegen woanders. „Wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt“, sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) dem MDR. Es hat sich nicht binnen Stunden entwickelt, sondern viel länger. Und es wurde nicht bekämpft. So entstehen Pogrome. So kippen Städte.
Von Jan Sternberg/RND